Die Sache mit Callie und Kayden
auch nur in ihre Nähe lässt.«
Bei der Vorstellung krampft sich mein Brustkorb zusammen. Auch wenn ich mir selbst dauernd sage, ich muss mich von ihr fernhalten, schmerzt der Gedanke, dass es tatsächlich so kommen könnte. Zum ersten Mal im Leben gestehe ich mir meine Gefühle ein. Ich habe sie tatsächlich. Und ich habe sie für Callie. Doch was ich mit ihnen anstellen soll, ist mir völlig schleierhaft.
Am nächsten Morgen wache ich früh auf, weil ich sowieso nicht schlafen konnte. Ich habe diesen wiederkehrenden Traum, in dem ich wieder beim Pool-Haus bin und mein Vater auf mich eindrischt. Diesmal allerdings kommt Callie nicht, und seine Fäuste knallen wieder und wieder in mein Gesicht, bis ich weg bin.
Ich ziehe mich an und gehe zum Laden über die Straße, um mir einen Kaffee zu holen. Als ich zurück zum Campus gehe, taucht Callie am Ende des Gehwegs auf. Sie hat ein Buch in der Hand und liest beim Gehen, sodass sie die Leute und die Autos um sich herum gar nicht wahrnimmt. Ihr Haar ist zur einen Seite geflochten, und lose Strähnen umrahmen ihr Gesicht. Ihre Jacke ist halb geschlossen, und ihre enge Jeans zeigt, wie zerbrechlich sie ist.
Ich warte an der Ampel auf sie, und sie blickt erst im letzten Moment zu mir auf.
»Hi«, sage ich und bemühe mich, es nicht beängstigend zu finden, dass sie mehrere Schritte vor mir stehen bleibt. Langsam gehe ich auf sie zu, nippe an meinem Kaffee. »Was liest du da? Du bist ja völlig vertieft.«
Ihr Blick ruht auf mir, und ich winde mich innerlich. Dann hebt sie das Buch in die Höhe, sodass ich den Titel erkenne.
» Sister Carrie «, lese ich laut vor.
Sie nimmt das Buch herunter, wobei sie den Finger als Lesezeichen zwischen die Seiten steckt. »Ist für den Literaturkurs, in dem ich in einer Stunde sein muss. Ich hätte es gestern Abend lesen müssen, aber da konnte ich das Buch nicht finden.«
»Ah, verstehe.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll, weil sie so angespannt klingt.
Sie drückt den Ampelknopf mit ihrem Daumen. »War es nett zu Hause?«
»War okay«, sage ich und warte, dass sie mich anschreit.
Sie schiebt den Daumen unter ihren Taschenriemen und zieht ihn höher auf ihre Schulter, während sie wartet, dass die Ampel grün wird. »Das ist gut.«
Sie liest weiter. Ich beobachte, wie sich ihre Lippen ab und zu mit den gelesenen Worten bewegen; Lippen, von denen ich weiß, dass sie unglaublich weich und beinahe unberührt sind. Ich hatte gespürt, dass sie noch so gut wie nie geküsst wurde, und etwas daran zieht mich erst recht zu ihr, als würde sie mir genug vertrauen, einer der wenigen zu sein. Das ist jetzt wohl vorbei.
»Hey, ich denke, wir sollten reden«, sage ich. »Da gibt es ein paar Sachen, die ich dir erzählen will.«
Die Ampel wechselt, und sie sieht auf. »Ich kann jetzt nicht reden. Ich muss mir einen Kaffee holen und in die Bibliothek, bevor der Kurs anfängt.«
Sie will über die Straße gehen, und ich greife nach ihrem Ärmel. »Callie, ich schulde dir eine Erklärung.«
Ihre Muskeln versteifen sich, als sie auf meine Hand an ihrem Arm sieht und dann zu mir. »Nein, tust du nicht. Ehrlich. Ich habe ja nicht gedacht, dass wir zusammen sind oder so.« Sie entwindet sich meiner Hand und läuft über die Straße.
Ich will ihr nachrufen, dass sie sich irrt, dass ich ihr alles verdanke, aber sie läuft so schnell, als würde sie einfach nur weit von mir wegwollen.
11
#3 Mach endlich einmal, was du willst,
statt das, was du glaubst, machen zu müssen
Callie
Ich meide ihn. Tausendmal habe ich mir gesagt, dass er nichts verbrochen hat, aber ich bin »labil«, wie Seth es so schmeichelhaft im Geschichtskurs ausdrückte. Er sagte mir außerdem, dass ich jede Verbindung zu Kayden kappen solle, weil er, als er weggefahren ist, auch einen Teil von meinem »Vertrauen« mitgenommen hat.
»Was sollen eigentlich immer diese Anführungszeichen?«, frage ich und nehme meine Tasche.
Professor Jennerly sieht kurz zu uns und setzt seinen Vortrag fort, wobei er mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dem Kurs auf und ab schreitet.
Seth beugt sich über den Tisch und flüstert: »Weil ich zitiere, was in meinem Psychologiebuch steht.«
»In deinem Psychologiebuch steht was über mein Problem?« Ich stelle meine Tasche auf den Tisch und ziehe den Reißverschluss auf.
»Nicht direkt, aber dicht dran.« Er steckt das Ende seines Stifts in den Mund und setzt sich wieder aufrecht hin.
Ich verstaue die Bücher in meiner Tasche,
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