Die Sache mit Callie und Kayden
war klar, dass sie mich noch viel hasserfüllter und angewiderter ansehen würde, sollte sie es erfahren.
Die ersten paar Jahre versuchte sie, mich zu verstehen. Das muss ich ihr lassen. Sie stellte Fragen, brachte mich zu einem Therapeuten, der ihr sagte, dass ich rebelliere, weil ich mehr Aufmerksamkeit wollte. Er war ein Kleinstadt-Psychiater und hatte keinen Schimmer, wovon er sprach. Andererseits half ich ihm auch nicht, es zu begreifen. Ich wollte nicht, dass er erfuhr, was in mir los war. Alles Gute und Saubere war verdorben und faulte wie Eier, die man in der Sonne liegen ließ.
Bei meiner Mutter ist es nämlich so, dass sie gern alles nett und zufrieden hat. Sie kann es nicht leiden, schlimme Dinge in den Nachrichten zu sehen, und weigert sich daher, die anzugucken. Auch die Schlagzeilen in den Zeitungen liest sie nicht, weil sie nicht über den Schmerz in der Welt reden will.
»Nur weil es viel Schlechtes auf der Welt gibt, muss ich doch nicht die ganze Zeit traurig sein.« Das sagt sie dauernd zu mir. »Ich verdiene es, glücklich zu sein.«
Also lasse ich mich von meiner Scham einnehmen, die mich umbringt und dafür sorgt, dass ich in tausend tote Flocken zerfalle. Wenn ich alles in mir behalte, muss sie nie von dem Schmutz erfahren, der auf ewig in mir ist – von dem Schlechten, dem Hässlichen, dem Perversen. Sie kann weiter ihr glückliches Leben führen, so wie sie es verdient.
Schließlich hörte sie auf, mir so viele Fragen zu stellen, und fing an, jedem zu erzählen, dass ich die klassische Zukunftsangst von Heranwachsenden durchmache, wie es ihr der Therapeut erklärte.
Einmal hörte ich sie dem Nachbarn sagen, dass ich kein schlechtes Kind wäre, als er mich beschuldigte, seine Gartenzwerge geklaut zu haben. Sie sagte ihm, dass ich eines Tages erwachsen und auf die alberne Zeit zurückblicken würde, die ich mich in meinem Zimmer einschloss, düstere Sachen schrieb, zu viel Eyeliner und schlabberige Klamotten trug, und mir wünschen, ich hätte es nie getan. Dass ich meine einsamen Teenagerjahre bereuen, daraus lernen und zu einer schönen Frau mit jeder Menge Freunden und einem Lächeln für die Welt heranwachsen würde.
Aber die eine Sache, die ich bereue und immer bereuen werde, ist, dass ich an meinem zwölften Geburtstag in mein Zimmer ging.
10
#49 Sei ehrlich zu dir selbst
Kayden
Seit zwei Tagen bin ich zu Hause und praktisch wieder an dem Ort, von dem ich geflohen bin. Mein Dad hat mich noch nicht geschlagen, aber ich habe Angst vor ihm, genau wie früher immer.
»Was soll das, diesen Schrott-Truck vorm Haus zu parken?«, fragt er, als er in die Küche kommt. Er trägt einen Anzug, obwohl er heute gar nicht arbeiten muss. Es gefällt ihm nur, wichtig auszusehen.
»In der Garage ist kein Platz.« Ich buttere meinen Toast so leise wie möglich, denn mein Dad hasst Messerkratzen auf trockenem Brot.
»Mir doch scheißegal!« Er macht einen Schrank auf und holt eine Cornflakes-Schachtel heraus. »Du schaffst ihn da weg. Er tropft die ganze Einfahrt voll mit Öl.«
»Ist gut.« Ich beiße in meinen Toast. »Ich stelle ihn woanders hin.«
Er baut sich vor mir auf, und ich erstarre. Seine grünen Augen sind eisig, sein Kinn ist angespannt, sein Gesichtsausdruck vollkommen ungerührt. »Ich glaube, du hast was vergessen.«
Ich schlucke angestrengt das Brot herunter. »Ist gut, Sir, ich stelle ihn woanders hin.«
Eine Sekunde lang sieht er mich noch an, dann tritt er zurück. »Und danach kommst du lieber wieder her und putzt die Krümel vom Tresen.«
Ich atme durch die Nase ein, als ich zur Tür gehe. »Ja, Sir.«
Er holt eine Schale aus dem Geschirrspüler, während ich aus dem Haus laufe. Wieso kann ich ihn nicht einfach schlagen? Das dachte ich häufiger, als ich noch jünger war, fürchtete jedoch immer, dass ich es nur zwanzigmal schlimmer zurückkriegen würde. Bis ich älter und größer war, starb etwas in mir, und es interessierte mich nicht mehr. Ich ließ mich von ihm treten und prügeln und hoffte nur, dass er endlich zu weit gehen und es vorbei sein würde.
Was sich an dem Abend änderte, als es beinahe passierte und Callie erschien, die mich rettete.
Mein Handy klingelt. Ich ziehe es aus der Tasche und sehe Daisys Namen auf dem Display.
»Was?«, frage ich und laufe die Verandastufen hinunter.
»Hey«, sagt sie in dieser hohen Stimme, die sie immer dann benutzt, wenn sie Freundinnen um sich hat. »Wie geht es meinem Lieblingsjungen?«
»Gut.«
»Was denn?
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