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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und urinierte auf das aufgeschlagene Buch. Dabei kreischte sie so laut sie konnte: »Ich pisse auf die Regel des heiligen Benedikt!«
    Die Männer brüllten vor Lachen und hämmerten mit den Fäusten auf die Tische. Sie johlten, pfiffen und jubelten. Tom wusste nicht, ob sie Ellens Verachtung der Ordensregel teilten oder ob sie sich bloß darüber freuten, dass eine so schöne Frau sich vor ihnen entblößte. In ihrer Schamlosigkeit und Vulgarität lag durchaus ein gewisser sinnlicher Reiz.
    Unter donnerndem Applaus sprang sie vom Tisch und rannte zur Tür hinaus.
    Alle Anwesenden fingen zur gleichen Zeit an zu reden. Eine solche Szene hatte keiner von ihnen je erlebt. Tom war entsetzt und zutiefst beschämt. Er wusste, dass dieser Auftritt schlimme Folgen haben würde – und doch war da auch eine Stimme in ihm, die sagte: Was für eine Frau!
    Einen Augenblick später stand auch Jack auf und folgte seiner Mutter hinaus. Sein verschwollenes Gesicht zeigte den Anflug eines Lächelns.
    Tom sah Alfred und Martha an. Alfred war völlig verwirrt, Martha kicherte. »Kommt mit, ihr zwei«, sagte Tom. Gemeinsam verließen sie das Refektorium.
    Sie fanden Ellen im Gästehaus. Jacks Mutter saß auf dem Sessel und wartete auf Tom. Sie trug ihren warmen Mantel, hielt ihren großen Lederranzen in der Hand und machte einen ruhigen und gefassten Eindruck. Tom wurde kalt ums Herz, als er den Ranzen sah, doch versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. »Das wird uns höllisch teuer zu stehen kommen«, sagte er.
    »Ich glaube nicht an die Hölle«, sagte Ellen.
    »Ich hoffe, sie erlauben dir noch, zu bekennen und Buße zu tun.«
    »Ich werde nichts bekennen.«
    Jetzt war es um seine Selbstbeherrschung geschehen. »Ellen, verlass mich nicht!«
    Sie sah ihn mit traurigen Augen an. »Hör zu, Tom. Bevor ich dich kennenlernte, hatte ich genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Ich war sicher und geborgen und konnte mich und meinen Sohn versorgen. Ich war auf niemanden angewiesen. Seitdem wir beide zusammen sind, habe ich stärker als je zuvor erfahren, was es heißt, dem Hungertod nahe zu sein. Inzwischen hast du zwar Arbeit gefunden, aber noch längst keine Sicherheit. Die Priorei kann dich nicht bezahlen, und es kann gut sein, dass du im nächsten Winter wieder auf der Straße stehst.«
    »Philip wird schon irgendwo Geld auftreiben«, sagte Tom. »Davon bin ich fest überzeugt.«
    »Deine Überzeugung kann trügen.«
    »Du glaubst nicht an mich«, erwiderte Tom verbittert. Und ehe er es verhindern konnte, entfuhr ihm die Bemerkung: »Du bist genau wie Agnes. Du glaubst nicht an meine Kathedrale.«
    »Ach, Tom«, antwortete Ellen betrübt. »Ginge es nur um mich, so bliebe ich ja hier. Aber sieh dir doch meinen Sohn an.«
    Tom kam ihrer Aufforderung nach. Die Prellungen und Schürfwunden hatten sich verfärbt, sodass fast das gesamte Gesicht des Knaben purpurviolett war. Das linke Ohr war auf das Doppelte seiner ursprünglichen Größe angeschwollen. Die Nasenlöcher waren mit eingetrocknetem Blut verkrustet, und ein Schneidezahn war abgebrochen.
    »Ich hatte Angst, er würde aufwachsen wie ein Tier, wenn wir weiterhin im Wald blieben«, fuhr Ellen fort. »Ich wollte, dass er den Umgang mit anderen Menschen lernt – aber nicht um diesen Preis. Deshalb kehren wir in den Wald zurück.«
    »Sprich nicht davon, Ellen, ich bitte dich«, sagte Tom voller Verzweiflung. »Lass uns erst noch darüber reden. Triff keine übereilten Entscheidungen!«
    »Das ist keine übereilte Entscheidung, Tom, gewiss nicht«, antwortete sie kummervoll. »Ich bin so traurig, dass ich nicht einmal mehr wütend sein kann. Ich wollte deine Frau sein, glaub mir. Aber nicht um jeden Preis.«
    Wenn Alfred Jack nicht verfolgt hätte, wäre uns das ganze Theater erspart geblieben, dachte Tom. Aber das war doch nur Kinderkram – oder etwa nicht? Oder war doch etwas dran an Ellens Behauptung, dass ihn seine Vaterliebe blind machte? Zum ersten Mal zweifelte er an der Richtigkeit seines Verhaltens. Vielleicht hätte ich strenger sein müssen mit Alfred, dachte er. Dass Buben in dem Alter sich prügelten, war zwar normal – nur waren Martha und Jack dem größeren und stärkeren Alfred körperlich weit unterlegen. Vielleicht war Alfred doch ein Raufbold …
    Aber was half die Einsicht? Sie kam zu spät. »Bleib wenigstens im Dorf!«, bat er Ellen verzweifelt. »Wart ein Weilchen, und sieh zu, wie sich die Dinge entwickeln.«
    »Ich glaube nicht, dass die Mönche

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