Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
mir das jetzt noch gestatten werden.«
Er wusste, dass sie recht hatte. Das Dorf gehörte der Priorei, und alle Häusler waren zur Abgabe einer Pacht verpflichtet, welche sie meistens in Gestalt von Arbeitstagen ableisteten. Die Mönche konnten jedem Bewohner des Dorfes, der ihnen missfiel, die Unterbringung verweigern. Nach allem, was geschehen war, hätte man ihnen die Zurückweisung Ellens nicht einmal übelnehmen können. Sie hatte ihren Entschluss gefasst und auf alle denkbaren Möglichkeiten, wieder davon Abstand zu nehmen, buchstäblich – gepisst.
»Gut«, sagte Tom schließlich. »Ich begleite dich. Das Kloster schuldet mir bereits zweiundsiebzig Pennys. Wandern wir eben weiter – wir haben bisher überlebt und werden …«
»Und deine Kinder?«, fragte Ellen sanft.
Tom musste an Martha denken, die vor Hunger geweint hatte. Er wusste, dass er ihr das nicht noch einmal zumuten konnte. Und da war ja auch noch der kleine Jonathan, der in der Obhut der Mönche lebte. Ich will ihn nicht noch einmal verlassen, dachte Tom, ich habe es einmal getan und mir das nie verziehen.
Dennoch konnte er den Gedanken, Ellen zu verlieren, nicht ertragen.
»Du kannst dich nicht zerreißen«, sagte sie. »Ich ziehe mit dir nie wieder von Ort zu Ort. Das ist keine Lösung – es wäre in jeder Hinsicht schlimmer als die Lage, in der wir uns gegenwärtig befinden. Ich kehre wieder in den Wald zurück, und zwar ohne dich.«
Er starrte sie an. Er wollte glauben, dass es ihr nicht ernst damit war, aber ein Blick in ihr Gesicht überzeugte ihn vom Gegenteil. Ihm fielen keine Argumente mehr ein. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kam kein einziges Wort über seine Lippen. Er fühlte sich hilflos.
Ellen atmete vernehmbar aus und ein; ihr Busen hob und senkte sich. Auch sie war innerlich aufgewühlt. Er wollte sie berühren, spürte jedoch, dass sie jetzt nicht berührt werden wollte. Vielleicht werde ich sie nie wieder in meine Arme schließen, dachte er. Es war kaum fassbar. Nacht für Nacht hatte er ihr beigelegen in den vergangenen Wochen, und er hatte sie mit einer Vertrautheit berührt, die er sonst nur seinem eigenen Körper entgegenbrachte. Und nun war sie ihm plötzlich versagt wie eine Fremde.
»Schau nicht so traurig«, sagte sie. Ihre Augen waren voller Tränen.
»Ich kann’s nicht ändern«, sagte er. »Ich bin traurig.«
»Es tut mir leid, dass ich dich so unglücklich gemacht habe.«
»Es braucht dir nicht leidzutun. Eher sollte dir leidtun, dass du mich so glücklich gemacht hast – das ist es nämlich, Weib, was jetzt so schmerzt. Dass du mich so glücklich gemacht hast.«
Ein Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Dann stand sie auf und ging – ohne ein weiteres Wort.
Jack und Martha folgten ihr. Alfred zögerte und wusste nicht, wo er hinsehen sollte. Dann ging auch er.
Tom starrte auf den verlassenen Sessel. Nein, dachte er, es kann nicht wahr sein. Sie verlässt mich nicht.
Er setzte sich auf den Sessel. Er war noch warm von ihrem Körper, den er so sehr liebte. Mit Gewalt musste er die Tränen unterdrücken. Dass sie von ihrer Entscheidung nicht mehr abrücken würde, war ihm klar: Ellen war eine Frau, die niemals schwankte. Wenn sie einen Entschluss gefasst hatte, so setzte sie ihn auch in die Tat um.
Aber diesen würde sie eines Tages vielleicht bereuen.
Es war ein Hoffnungsschimmer. Er wusste, dass sie ihm mit Leib und Seele zugetan war, daran hatte sich nichts geändert. Erst in der vergangenen Nacht hatte sie ihn leidenschaftlich geliebt, mit der Gier einer Verdurstenden; hatte sich, als er seine Lust schon befriedigt hatte, über ihn gewälzt und weitergemacht, ihn wild geküsst und in seinen Bart gestöhnt, wenn sie kam … Und sie war gekommen, ein ums andere Mal, bis sie endlich erschöpft war. Aber es war ja nicht nur das, was sie verband. Sie genossen jede gemeinsame Stunde. Sie redeten ununterbrochen miteinander – viel mehr, als Tom je mit Agnes geredet hatte, selbst als Jungverliebte. Ich werde ihr genauso fehlen wie sie mir, dachte er. Wenn ihr Zorn verflogen ist und sie sich wieder an das tägliche Einerlei gewöhnt hat, wird sie sich sehnen nach jemandem, mit dem sie sich unterhalten kann. Sie wird nach einem kräftigen Körper gieren und nach einem bärtigen Gesicht, das sie küssen kann. Und dann wird sie an mich denken.
Aber Ellen ist auch stolz. Ihr Stolz kann sie daran hindern, zu mir zurückzukehren – selbst wenn sie es im Grunde ihres Herzens will.
Er
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