Die Säulen der Schöpfung - 13
kannte, war dazu auserkoren, mit Kaiser Jagang in die Stadt zu reiten. Jagang wollte unbedingt vermeiden, daß sie der tödlichen Umzingelung entging, indem sie in der Menge untertauchte oder womöglich als gemeine Wäscherin verkleidet floh. In Anbetracht der bisher vorgefundenen Situation hatte sich diese Befürchtung in Nichts aufgelöst.
Fröstelnd nicht nur wegen des kalten Windes sondern auch wegen der leidenschaftlichen Kampflust, die in den Augen der Soldaten aufblitzte, versuchte Jennsen das Zittern ihrer Hände zu unterbinden, indem sie den Sattelknauf fest umklammerte.
Jennsen.
Bestimmt zum hundertsten Mal an diesem Morgen prüfte sie nach, ob ihr Messer griffbereit in seiner Scheide steckte. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, drückte sie es, das metallische Klicken beim Einrasten zufrieden registrierend, wieder fest hinein. Sie hatte die Armee hierher begleitet, weil sie sich als Teil des Ganzen sah – und weil sie eine Aufgabe zu erledigen hatte.
Gib dich hin.
Endlich war sie die Jägerin und nicht mehr die Gejagte.
Gib deinen Willen hin, Jennsen. Gib deinen Körper hin.
»Laß mich in Frieden«, rief sie gereizt, weil die Stimme einfach keine Ruhe geben wollte.
Sebastian warf ihr einen mißbilligenden Blick zu. »Wie?«
Verärgert, daß sie es diesmal aus lauter Nachlässigkeit laut gesagt hatte, schüttelte Jennsen nur den Kopf. Sebastian kehrte wieder zu seinen eigenen Gedanken zurück, betrachtete die vor ihnen liegende Stadt und ließ den Blick forschend über das eindrucksvolle Labyrinth aus dicht gedrängten Gebäuden, Straßen und engen Gassen schweifen. Es gab nur eines, was dieser Stadt fehlte, und dieses eine versetzte alle Anwesenden in eine überaus gereizte und angespannte Stimmung.
Aus den Augenwinkeln sah Jennsen die Schwestern des Lichts untereinander tuscheln – alle bis auf eine, Schwester Perdita mit dem dunkelgrauen Kleid und dem bereits leicht angegrauten und lose nach hinten gebundenen Haar. Als ihre Blicke sich begegneten, setzte die Frau ihr typisches durchtriebenes, selbstzufriedenes Schmunzeln auf, so als könnte sie Jennsen bis auf den Grund der Seele blicken. Da es auf sie möglicherweise ganz anders wirkte als von der Frau beabsichtigt, quittierte Jennsen es, so gut es irgend ging, lächelnd und mit einem leichten Neigen des Kopfes, bevor sie sich wieder abwandte.
Wie alle anderen auch, betrachtete Jennsen den Palast auf dem Hügel in der Ferne. Es wäre auch nicht leicht gewesen, ihn zu übersehen, wie er sich, gleich Schnee auf schieferdunklem Grund, gegen die grauen Flanken der Berge abhob. Die hohen Fenster auf der Fassadenseite lagen zwischen hoch aufragenden, mit goldenen Kapitellen überkronten Säulen. Im Hintergrund, exakt über der Mitte, erhob sich weit über die hohen Mauern hinaus ein Kuppeldach. Jennsen hatte ihre liebe Mühe, die Pracht eines so wunderschönen Gebäudes mit der ruchlosen Herrschaft der Mutter Konfessor in Einklang zu bringen.
Das drohende, gespenstische Äußere der Burg der Zauberer hoch droben auf einem Berg jenseits des Palasts schien sehr viel eher der Mutter Konfessor zu entsprechen. Jennsen bemerkte, daß niemand gern zu diesem unheilvollen Ort hinaufsah; jeder beeilte sich, den Blick rasch wieder auf ein weniger verstörendes Ziel zu richten.
Die Burg, die auf sie herabzublicken schien, war – außer dem Palast des Volkes in D’Hara – das größte von Menschenhand geschaffene Bauwerk, das Jennsen je gesehen hatte. Graue Wolkenfetzen umwehten seine bis in schwindelerregende Höhen reichenden Außenmauern aus dunklem Stein. Die eigentliche, hinter diesen himmelstrebenden Mauern liegende Burg schien aus einer verwirrenden Anhäufung von Festungswällen, Brustwehren, mit Zinnen versehenen Mauern, Türmen, Giebeln, Verbindungsbrücken und Wehrwegen zu bestehen. Jennsen hätte nie für möglich gehalten, daß ein aus Stein erbautes Gebäude eine derart lebendige Bedrohlichkeit verströmen konnte.
Mit dem Geräusch des Windes, der stöhnend durch die kahlen Zweige der majestätischen Bäume fuhr, die die Straße säumten, drang plötzlich auch das Geräusch galoppierender Hufe an ihr Ohr. Aller Augen wandten sich den bärtigen, langhaarigen Männern zu, die, wehende Fetzen aus Fell und Häuten hinter sich im Wind, tief über die Widerriste ihrer Pferde gebeugt, auf der Straße rechts von ihnen herangejagt kamen. Jennsen erkannte sie an der fleckigweißen, gescheckten Färbung des führenden Tieres. Sie gehörten zu
Weitere Kostenlose Bücher