Die Säulen der Schöpfung - 13
konservierte, da ihn exakt die richtige Person – beim Herausziehen des Briefes – berührte, war überaus komplex«, erläuterte Schwester Perdita mit ruhiger Stimme. »Wahrscheinlich war der Schutzmechanismus auf Eure Berührung abgestimmt, Exzellenz.«
Einen erschreckenden Augenblick lang befürchtete Jennsen, Kaiser Jagang könnte sein Schwert mit einem wütenden Aufschrei kreisen lassen und der Frau den Kopf abschlagen.
Ein etwas seitlich von ihnen stehender Offizier wies hinauf zum Palast der Konfessoren.
»Seht doch! Sie ist es!«
»Gütiger Schöpfer!«, hauchte Sebastian, als auch er den Kopf hob und eine Person im Fenster stehen sah.
Andere Soldaten begannen ebenfalls zu rufen, sie hätten sie gesehen. Jennsen stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte an den unzähligen nach vorne stürmenden Soldaten und gestikulierenden Offizieren vorbei, durch die Spiegelungen der Fensterscheibe einen Blick auf die Frau zu erhaschen, die sie, etwas zurückversetzt, im dunklen Hintergrund des Raumes erspäht zu haben glaubte. Sie hielt die Hand schützend über ihre Augen, um besser sehen zu können. Unter den Soldaten wurde aufgeregt getuschelt.
»Da!«, stieß ein anderer Offizier hervor. »Seht doch! Es ist Lord Rahl! Dort! Das ist Lord Rahl!«
»Da!«, schrie wieder ein anderer. »Jetzt laufen sie dort hinten entlang! Es sind die beiden!«
»Jetzt sehe ich sie auch«, knurrte Jagang, während er die beiden fliehenden Gestalten mit seinem düsteren Blick verfolgte. »Dieses Miststück würde ich selbst noch im entlegensten Winkel der Unterwelt erkennen. Und dort drüben – Lord Rahl ist bei ihr!«
Jennsen bekam die beiden an den Fenstern vorbeihuschenden Gestalten immer nur für kurze Augenblicke zu sehen.
Kaiser Jagang, die Luft mit seinem Schwert zerteilend, gab seinen Männern ein Zeichen. »Umstellt den Palast damit sie auf keinen Fall entkommen können!« Dann wandte er sich an seine Offiziere. »Ein Sturmtrupp soll mich begleiten! Außerdem ein Dutzend Schwestern! Schwester Perdita – Ihr bleibt hier draußen bei den anderen Schwestern. Und laßt ja niemanden vorbei!«
Sein Blick suchte Sebastian und Jennsen. Als er sie inmitten der Umstehenden erspäht hatte, durchbohrte er Jennsen mit seinem wütend funkelnden Blick.
»Wenn Ihr Euer Vorhaben in die Tat umsetzen wollt. Mädchen, dann müßt Ihr mich jetzt begleiten.«
Jennsen jagte bereits zusammen mit Sebastian in Kaiser Jagangs Schlepptau davon, als sie plötzlich merkte, daß sie das Messer in der geballten Faust hielt.
48. Kapitel
Jennsen hastete unmittelbar hinter Jagang im Schatten der hohen Marmorsäulen die weite Marmortreppe hinauf. Den grimmigen Männern, die rings um sie her die Stufen hinaufsprangen, stand ihre wilde Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben.
Die Männer des in mehrere Lagen aus Lederrüstung, Kettenpanzer und derbe Tierhäute gehüllten Sturmtrupps hatten Kurzschwerter, gewaltige sichelförmige Streitäxte oder gefährliche Peitschen in der einen Hand, an ihrem anderen Arm dagegen trugen sie runde Metallschilde, versehen mit einem langen Mitteldorn, der sie ebenfalls zu Waffen machte. Darüber hinaus waren die Männer mit Gürteln und Riemen umwickelt, die mit spitzen Bolzen besetzt waren und den waffenlosen Kampf Mann gegen Mann günstigstenfalls zu einem gewagten Unterfangen machten. Jennsen konnte sich nicht vorstellen, wer den Mut besäße, sich diesen fürchterlichen Kriegern entgegenzustellen.
Bei ihrem Sturmangriff über die Treppe verfielen die Soldaten in ein animalisches Gebrüll; sie durchbrachen die mit Schnitzereien verzierten Doppeltüren wie Reisig, ohne auch nur ein einziges Mal vorher zu prüfen, ob sie nicht vielleicht unverschlossen waren. Jennsen schützte ihr Gesicht mit dem Arm, als sie mitten durch den Hagel aus zersplitterten Holztrümmern sprang.
Das donnernde Getrappel der Soldatenstiefel hallte drinnen durch die große Eingangshalle. Hohe, zwischen Pfeiler aus poliertem weißem Marmor eingelassene Fenster aus blaßblauem Glas warfen Lichtbalken über den Marmorboden, wo der Sturmtrupp vorüberhastete, auf dem Weg in die oberen Stockwerke, wo sie die Mutter Konfessor und Lord Rahl gesehen hatten, die erste Treppenflucht hinauf.
Der Umstand, daß sie im Begriff war, einen Menschen zu töten, war für Jennsen von untergeordneter Bedeutung. Als sie die Treppen hinaufhastete, beschäftigte sie nur ein einziger Gedanke, der Schrecken, den Lord Rahl in ihr Leben und das Leben anderer
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