Die Scanner
genug Geld. Und er lebte nicht mehr bei seinen Eltern. Er reparierte die Mobrils seiner Nachbarn. Installierte Animatoren. Bot über Ultranetz all das zum Verkauf an, was für mich nicht mehr als veralteter Elektroschrott war.
»Ende der Diskussion«, sagte mein Vater und schlug die Haustür hinter sich zu.
Drei aus der Premium-Liste kommentierten die Szene gleich.
»Grinsen und weitermachen!«, sagte Luk-2010.
A-Zonen-Chris22 war der Moralapostel – wie immer. »Solange du zu Hause wohnst, musst du dich anpassen.«
Ultranetz-Maus9888 lud mich auf ein Mobril-Spiel ein. »Zeit zum Relaxen!« Ein Autorennen durch die A-Zone. Das Starterfeld lichtete sich gleich. Ich wippte den Kopf nach links und machte eine scharfe Kurve. Landete mit 280 Sachen in einem grauen Betonklotz. »Reparatur kostet fünf«, sagte die Mobril-Stimme. Ich hörte auf zu spielen. Heute war einfach nicht mein Tag.
Ich stellte mich mit den verstaubten Kleidern in den Reiniger, wartete das Zischen der Luftdüsen ab. In meinem Zimmer warf ich die Jacke in die eine Ecke, die Schuhe in die andere. Mir gehörten zehn Quadratmeter, und jeder Quadratzentimeter war mit dem Müll ausgefüllt, den man in 25 Jahren auf der Erde so anhäuft.
An der Wand hing meine Sammlung prähistorischer E-Book-Reader. Die Dinger waren mal groß in Mode gewesen. Waren aber zum Filmeschauen schlussendlich zu unpraktisch. Bei mir funkelten in den Bildschirmen Sterne und wechselten die Farbe. Irgendwie beruhigend. Ein Geschenk von Jojo, Marke Eigenbau. Er hatte einen Container mit dieser Museumsware über Ultranetz aufgetrieben.
Ich legte mich aufs Bett, setzte die Mobril auf. »Mobril. Kontakt. Jojo.« Drei Sekunden später sah ich einen Haufen Kabel und blinkende Irgendwas vor mir. Jojo bastelte wieder.
»Lust auf eine nächtliche Runde Metro-Gleiter?«, meldete er sich gut gelaunt.
Ich reagierte nicht auf die Sticheleien, sondern kam gleich zum Punkt. »Mir geht das mit Arne Bergmann durch den Kopf.«
»Okay, ich hab Neuigkeiten für dich«, sagte Jojo.
Er machte eine Pause, hielt mich hin.
»Der rüstige Senior, der dir Kopfschmerzen bereitet, ist wahrscheinlich ein Radikaler.«
Ich schwieg.
»Arne Bergmann ist laut Nomos auf der Liste der SAIV.«
Ich erzählte Jojo etwas von Akkuproblemen und beendete das Gespräch.
Scanner nannten wir Buchagenten uns, die für die Scan AG arbeiteten. Die Sicherheits-Scanner hingegen waren die schweren Jungs. Offiziell hieß die Abteilung Sabotagen-Abwehr und Informations-Verteidigung , kurz SAIV. Weil die Kollegen mit allen nötigen Mitteln die Gegner der Scan AG verfolgten, ausspionierten, durchleuchteten, nannten wir sie Sicherheits-Scanner.
Immer wieder kam es vor, dass sich Gegner von Ultranetz lautstark äußerten. Sie warfen die Fenster von Mobril-Verkäufern ein. Oder sie schickten Drohfilme an die Mobrils der Mitarbeiter. Ich gehörte als Buchagent zum Beuteschema derartiger Terroristen.
Vor drei, vier Monaten hatte ich so einen Film erhalten. Ich nahm spätnachts eine Nachricht von unbekannter Mobril-Nutzer entgegen. Aus purer Neugierde. Ein Fehler, der mich den restlichen Schlaf kostete.
Ich sah in den Brillengläsern zunächst einen verstaubten Buchdeckel. Eine Hand mit Altersflecken klappte ihn auf und blätterte von Seite zu Seite. Viel zu schnell. Ich konnte nicht entziffern, was dort gedruckt war. In der Mitte des Buches stoppte die Hand auf einmal. Ich sah ein Foto von mir auf einer Doppelseite. Ich erkannte das Bild sofort. Ich hatte es irgendwann für eine Kontaktanzeige auf Ultranetz gestellt.
Plötzlich glühten die Ränder des Buches und meiner Aufnahme. Sie fingen Feuer, und ich sah mich selbst in Flammen. Hörte ein schmerzerfülltes Schreien. Ich wollte mir die Mobril vom Kopf reißen, gleichzeitig aber wissen, was das soll. Von den Buchseiten und mir war bald nur noch Asche übrig. Ein Luftzug verteilte die grauen Teilchen im Raum. Überall standen leere Bücherregale.
Ich dachte an die alte Bibliothek im 2. Quartier. Jojo und ich hatten gerade bei der Scan AG angefangen, da erhielten wir schon unseren ersten Großauftrag. Die Zonenverwaltung verkaufte die Bibliotheksbestände an die Scan AG. Ultranetz scannte alles. Alles Wissen für alle! Jederzeit! Kostenlos! Das bedeutete unglaublich viel Arbeit für Frischlinge wie Jojo und mich.
Die besagte Bibliothek gehörte zur letzten ihrer Art in unserer Stadt. Ich wusste vor unserem Auftrag gar nicht, dass es so etwas noch gab. Wir waren
Weitere Kostenlose Bücher