Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
dass er sich der Mutter jetzt nicht mehr nähern darf. Aber davon wusste er natürlich nichts. Dem Richter war das dann zu blöd, und er hat gesagt, dass das ja alles im Gutachten geklärt werden kann. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass der Vater das weiter durchzieht.«
»Hat er aber. Und wie! Gibt es eigentlich irgendwelche ärztlichen Atteste oder sonstige Unterlagen über den Vater?«
»Sie meinen eine Bescheinigung, dass er ein unverschämter Depp ist, dem seine Kinder eigentlich total egal sind? Nein, da haben wir leider nichts. Er hat auch nichts vorgelegt. Ich habe mitbekommen, dass sein Anwalt ihn später gefragt hat, ob er ein Attest oder so was hat. Hat er nicht. Er war wohl auch nie beim Arzt deswegen. Hat er wohl vergessen … Eine Meise hat er aber definitiv. Ich meine, er will seine Kinder nicht sehen, stalkt die Mutter, und jetzt nach neun Jahren rennt er zu Gericht und will Umgangskontakte und womöglich noch einen Sorgerechtsentzug der Mutter. Also, wenn das nicht komplett bekloppt ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Ach, Frau Ehring, schreiben Sie doch mal einen Bericht, in dem das genauso drinsteht. Am liebsten wörtlich!«
»Ja, ja, das hätten Sie wohl gerne.« Sie lachte wieder.
Frau Ehring verwendete in ihrem Bericht zwar doch keine Worte wie »komplett« und »bekloppt«, schrieb aber inhaltlich letztendlich nichts anderes. Das psychiatrische Zusatzgutachten ergab das, was ich vermutet hatte: Eine Amnesie bestand nicht, dafür aber eine Persönlichkeitsstörung.
Herr Ibrahim war so erbost über Frau Ehrings Bericht und die Diagnose des Psychiaters, dass er erklärte, er wolle mit dem Gericht, dem Jugendamt und irgendwelchen Psychologen nichts mehr zu tun haben, seinen Antrag zurückzog und zu seinem Bruder an die Ostsee fuhr. Dort gefiel es ihm wohl so gut, dass er dauerhaft dort blieb. Vielleicht hatte er aber auch nur vergessen, dass er ursprünglich in einer anderen Stadt wohnte. So wie er sich auch an die Existenz seiner Kinder nicht mehr erinnern konnte …
Der Müll ist fort!
»Kaffee …?«
Ja! Sehr, sehr gerne! Ein Kaffee mit Milch und Zucker. Das wäre toll!
Trotzdem lehnte ich ab.
Der Kaffee roch wirklich gut, und zur Not hätte ich auch glatt auf Milch und Zucker verzichtet. Aber eben nicht auf eine halbwegs saubere Tasse.
Die Tassen, die auf dem Tisch mit der braun-grün gemusterten Lackfolie standen, waren alle irgendwie verschmiert, fleckig und wirkten klebrig. Diese Muster auf der Plastiktischdecke … Das waren doch Muster … Oder? Ich bemühte mich, wegzusehen und nicht hinzufassen.
Frau Peters war sehr unruhig, wedelte mit den Händen, verschüttete dann den Kaffee auf ihre Hose und huschte mit einem »Ojeojebingleichwiederda« aus der Küche.
Sie tat mir leid, denn natürlich war sie wegen meiner Anwesenheit so aufgeregt. Wie immer bemühte ich mich, alles so erträglich wie möglich zu gestalten. Ich kann aber die Tatsache nicht ändern, dass eine Begutachtung eine Begutachtung bleibt – und damit eben eher unangenehm.
So hibbelig wie Frau Peters allerdings war selten jemand. Sie wirkte regelrecht gehetzt – und das nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie eine Jacke anhatte, die mir laufend signalisierte, Frau Peters würde gleich das Haus verlassen. Während sie eine saubere Hose anzog, hatte ich Zeit, die Küche genauer zu betrachten und mich zu wundern. Dort war es zwar nicht sauber und schon gar nicht gemütlich – es sei denn, man fühlt sich wohl zwischen Küchenregalen, von denen verblichene Homeshopping-Puppen herunterschmollen, neben einer klebrigen Tischdecke, umgeben von Wänden mit abgeblätterter, einst mutmaßlich weißer Wandfarbe. Aber es war eben auch nicht alles vollgestellt mit prallen Müllsäcken, Kartons, Kisten, dreckigem Geschirr und sonstigem Unrat, wie in der Akte beschrieben, die ich vom Gericht bekommen hatte. Auf den beigefügten Fotos hatte man gar nicht erkennen können, dass es sich bei dem Raum überhaupt um eine Küche gehandelt hatte, und auch die anderen Zimmer hatten kaum anders ausgesehen. Ein einziges, vollgemülltes Chaos, dessen modriger Geruch einem schon von den Fotos in die Nase zu steigen schien.
Jetzt sah man nichts mehr von alldem. Kein einziger Müllsack, keine Kartons voll Kram, keine Essensreste oder Geschirrstapel. Nicht dass es wirklich sauber wirkte, aber der Unterschied zu den Fotos war doch erfreulich gravierend. Die Kaffeetasse war zwar in einem Zustand, der selbst
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