Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
ja wohl nicht sehen. Ist halt ein Keller. Warum sollen Sie sich den Keller anschauen, haha, also dann.«
Sie streckte mir dir Hand hin, und ich nahm sie nicht an. Stattdessen musterte ich Frau Peters. Ich sah, dass sie schwitzte. Und in mir keimte plötzlich dieses ungute Gefühl, das Haus nicht verlassen zu wollen, ohne den Keller gesehen zu haben.
Ich musste mehrmals nachfragen, aber auf mein Beharren hin öffnete Frau Peters schließlich die schwere Metalltür zum Keller des kleinen Hauses. Ich tastete einen Moment lang nach einem Lichtschalter, fand aber keinen.
»Frau Peters, wo ist denn der Schalter für das Licht?«
»Bitte?«
»Das Licht. Wo macht man das Licht an?«
»Ach das Licht … Ja, das … Das ist. Dings. Kaputt. Leider.«
Frau Peters machte einen lahmen Versuch, die Tür vor mir wieder zu schließen, doch da fanden meine Finger einen kleinen Kippschalter, und eine Glühbirne am Ende der Treppe warf ein funzeliges Licht in den Kellerraum.
Vier Männer und zwei Frauen blickten mich mit einer Mischung aus Schreck und Verwunderung an. Ihre Haltung war geduckt, da sie sonst mit dem Kopf an die Decke gestoßen wären. Dies war nur zum Teil der niedrigen Kellerdecke zu verdanken. Zum anderen saßen sie auf unzähligen, prall gefüllten Müllsäcken und anderen Objekten, die man vollstopfen konnte mit Krimskrams, Unrat und Sammlerpüppchen.
Diese Personen waren die Freunde von Frau Peters, und sie hatten tatsächlich extra für meinen Besuch den gesamten Müll aus der Wohnung in den Keller geräumt und es sich auf selbigem so gut es ging bequem gemacht, bis ich endlich verschwunden war. Es stellte sich schnell heraus, dass der Plan gewesen war, alles danach wieder in der Wohnung zu verteilen, und zwar möglichst genau so, wie es vorher gewesen war.
Fast hatte ich erwartet, dass sich jeden Moment eine weitere Person aus einem der Müllsäcke schälen und jovial grinsend »Willkommen bei der versteckten Kamera!« rufen würde.
Nichts dergleichen passierte, und es ist auch bis heute nicht passiert, obwohl ich in all den Jahren immer und immer wieder fest damit rechnete, gleich vor laufender Kamera so tun zu müssen, als würde ich jede Menge Spaß verstehen.
Bei Frau Peters verstand ich keinen Spaß, und Frau Peters selbst war ebenso wenig zum Lachen zumute wie ihren erstaunlich hilfsbereiten und scheinbar zu allem entschlossenen Freunden, die dort unten in dem Keller über eineinhalb Stunden ausgeharrt hatten. Ein Teil von mir musste unweigerlich an die kleine Karolin denken, die bislang keine Chance gehabt hatte, irgendwelche Freunde zu finden. Entsprechend fiel meine Begutachtung aus, und erfreulicherweise fand sich für Karolin ein Platz in einem sehr gut geführten Heim, wo sie auch regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter hatte. Allerdings ohne Besuche im Haus von Frau Peters.
Sie versteht das schon!
Nicole Semmler war das älteste von vier Kindern und – wie mir ihre Mutter später berichtete – immer das »Sorgenkind« gewesen. Sie hatte die Hauptschule ohne Abschluss verlassen, danach nur noch mit deutlich älteren Jungs »am Bahnhof rumgehangen«. Von einem dieser Jungs (es war wohl nicht ganz klar, von welchem denn nun eigentlich) wurde sie schwanger und bemerkte dies erst, als sie schon im sechsten Monat war. Nicole Semmler war gerade achtzehn, als ihr erstes Kind, Serafina, geboren wurde.
Nach der Geburt hatte sie sich nicht um die Kleine gekümmert, sondern sie ihrer Mutter überlassen. Sie selbst ging für einige Monate in den Osten, um dort mit einem Typen zusammenzuleben, der sie dann aber nach einer Weile wegen einer anderen Frau hinauswarf. Wieder zurück in ihrer Heimatstadt, wohnte Frau Semmler zunächst wieder in ihrem Elternhaus, wollte aber so schnell wie möglich mit Serafina in eine eigene Wohnung ziehen. Schon alleine aufgrund der langen Trennung hatte sie aber keine Beziehung zu ihrem Kind und war aus Sicht ihrer Mutter nicht in der Lage, sich um Serafina zu kümmern.
Da die Oma ihre Tochter aus Sorge um Serafina auf keinen Fall alleine mit ihrer Enkelin lassen wollte, Frau Semmler aber darauf bestand, dass Serafina ja schließlich
ihre
Tochter sei (ich sehe sie vor mir, wie sie mit verschränkten Armen dastand, mit dem Fuß aufstampfte und sagte: »Das ist aber MEINE Puppe!«) und sie jetzt mit ihr zusammen in einer eigenen Wohnung leben wolle, wandte sich die Oma an das zuständige Jugendamt und bat um Hilfe.
Die Mitarbeiterin des Jugendamtes
Weitere Kostenlose Bücher