Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
angenehm offen und gesprächig. Sie war keineswegs dumm, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich den Stoff der ersten Klasse nicht aufnehmen konnte.
Es musste einen anderen Grund für ihr schulisches Versagen geben. Dieses Kind hatte durchaus Potential, und niemand hatte es bemerkt! In solchen Momenten frage ich mich, was die Lehrer eigentlich tun. Na ja, die sind auch nur Menschen und haben dreißig Kinder in der Klasse. Und Schakkeline war kein auffälliges Kind. Dennoch … Die Lehrerin hätte sich nur einmal eingehend mit Schakkeline beschäftigen müssen, um zu bemerken, dass ihr Schulversagen ganz sicher andere Gründe hatte als mangelnde Begabung oder eine zu langsame Auffassungsgabe.
Schakkeline war still und zurückhaltend, verschwand also wahrscheinlich komplett vom Radar der Lehrerin, wenn im gleichen Klassenverband fünf bis sieben hyperaktive Kevins den Hannahs ihre Lillifee-Jacken in die Jungentoilette stopften. Gelegentlich kam es vor, dass Lehrer nach Gesprächen mit Eltern wie Frau Höffers annahmen, dass deren Schakkelines auch eher suboptimal ausgestattet waren. Oder sie schlossen einfach von dem dämlich geschriebenen Namen auf das Potential des Kindes.
Schakkeline aber war wissbegierig und konnte sich im Eins-zu-eins-Kontakt auch viel länger konzentrieren, als mir beschrieben wurde.
Nun war ich gespannt auf den Vater, den ich als Nächstes treffen würde. Ich betete, dass er die Defizite der Mutter würde ausgleichen können.
Leider war es gar nicht von Belang, ob Herr Liedke dies können würde oder nicht. Er saß breitbeinig auf seinem leopardenimitationsdeckenbehangenen Sofa, rauchte eine Selbstgedrehte nach der anderen und hatte schlicht keinerlei Interesse an seiner Tochter. »Ja, die Schakkeline besucht mich immer mal wieder hier, aber ich hab da keine Zeit für. Die ist dann bei meinen Eltern und meiner Schwester oder so.« Er machte eine Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. »Ich hab ja einen Job, und dann will man ja auch mal ein bisschen Freizeit haben! Man kann ja nicht immer nur arbeiten und dann das Kind da um sich haben. Das geht nicht. Das ist ja mal klar!«
Ja, stimmt … Wie konnte irgendwer nur auf die irrsinnige Idee kommen, dass ein Mann mit einem Job sich auch noch um seine Tochter kümmern könnte?
»Und dann hab ich ja auch eine Freundin. Da geht ja auch schon mal Zeit drauf. Und wo soll ich denn dann mit der Schakkeline hin, wenn die da ist? Also, das ist von mir aus schon irgendwie okay so, wie es jetzt ist, aber öfter kann die Schakkeline echt nicht zu mir kommen. Für so was fehlt mir echt die Zeit, wissen Sie.«
Das Gespräch mit Herrn Liedke war schnell beendet. Der Vollständigkeit halber erkundigte ich mich, ob er für den Fall, dass Frau Höffers sich nicht mehr um Schakkeline kümmern könne, sich vielleicht vorstellen könnte … Da unterbrach er mich schon. »Wenn die Frau Höffers ihren Arsch nicht hochkriegt, dann kann ich da auch nichts dafür. Die soll mal schön ihren Job machen. Immerhin kassiert die da Kindergeld und so was für. Dann soll die auch mal was machen, die faule Kuh, die. Also, das seh ich echt nicht ein, dass ich der dann auch noch helfen soll. Außerdem hab ich keine Zeit für die Schakkeline. Hab ich doch gesagt. Also, nee, echt nicht!«
Ich hatte mich gerade von ihm verabschiedet und das Haus verlassen, als eine junge Frau direkt auf mich zukam und mir ihre Hand hinstreckte. »Hallo, ich bin Manuela Liedke, Herrn Liedkes Schwester. Hätten Sie kurz Zeit?« Sie machte eine einladende Armbewegung in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Ich würde gerne mit Ihnen sprechen. Ich … Also, ich wohne gleich um die Ecke.«
Ich war mit Herrn Liedke schneller fertig geworden, als ich geplant hatte. Also hatte ich noch Zeit bis zum nächsten Termin. Und da ich nicht unhöflich sein wollte und zudem neugierig war, stimmte ich zu.
Manuela Liedke war etwa Anfang dreißig, wohnte in einer einfachen, aber netten Wohnung und knetete nervös ihre Hände. »Kommen Sie doch rein. Hier … Also, ich habe … wenn Sie wollen …« Sie machte eine fahrige Geste in Richtung Kaffeetisch. Sie hatte zwei Tassen samt Untertassen aus mit Rosen bedrucktem Porzellan hingestellt, eine passende Kanne (mit Kaffee, nahm ich an) sowie eine kleine Milchkanne samt Zuckerdose. Dazu einen Teller mit ordentlich drapierten Keksen und ebenso gefalteten Servietten.
»Ich hab gewartet, bis ich Sie …
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