Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
staune, werde ich von einem blauen Bären bzw. der Rektorin begrüßt. Im Besprechungsraum stehen mehrere leere Sektflaschen auf dem Tisch. Weit und breit kein Kaffee. Dürfen Lehrer bei der Arbeit eigentlich Sekt trinken? Noch während ich darüber nachdenke, wird mir schwungvoll ein Tablett mit Mettbrötchen unter die Nase gehalten, wobei der Brötchenbelag ganz sicher einmal eine andere Farbe gehabt haben muss. »Greifen Sie zu!« Nein danke.
Immerhin habe ich inzwischen begriffen, dass die Grundschule heute wohl Karneval feiert.
Ich habe mit Konzentrationsproblemen zu kämpfen. Es ist nicht einfach, sich mit einem blauen Bären und Pippi Langstrumpf über pädagogische Inhalte und die möglichen Ursachen von Verhaltensauffälligkeiten zu unterhalten. Aber man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles, und nach einiger Zeit kann ich das Gespräch führen wie jedes andere Fachgespräch. Die Pädagoginnen erweisen sich glücklicherweise als kompetent und am Wohl des Kindes interessiert. Nur gegen Ende des Gesprächs komme ich noch einmal aus dem Tritt: Ein sehr, sehr dicker Fliegenpilz mit knallrosa Lippenstift reißt die Türe auf, schwenkt ein Tablett mit halb gefüllten Plastikbechern und trompetet ein fröhliches »Sektchen??!« in die Runde.
15 : 00 Uhr
Hausbesuch bei einem Ehepaar, dessen Kinder vor einigen Wochen vom Jugendamt in Obhut genommen wurden. Es bestand der Verdacht auf Vernachlässigung der Kinder. Die Eltern erklären, alle Vorwürfe seien erfunden. Wenn die Lehrer, Sozialarbeiter und die Kinder selbst etwas anderes behaupten würden, so sei das gelogen. Die Kinder hätten ja ohnehin schon »immer dauernd so Geschichten erzählt«. Das sei ihnen nicht »auszutreiben« gewesen. Nicht einmal »ein paar hintendrauf« hätten viel Wirkung gezeigt. Daraufhin brummelt der Vater, das sei ja »kein richtiges Schlagen«. Die Mutter nickt.
Schließlich geben sie zu, dass die Kinder tatsächlich mehrfach nachts alleine auf der Straße gewesen seien. Dies sei aber wirklich nicht ihre Schuld gewesen, schließlich seien die Kinder jedes Mal »heimlich abgehauen«. Was hätten sie denn da tun sollen? Ich werfe ein, dass man als Eltern ja nach dem ersten, spätestens aber nach dem zweiten Mal durchaus Überlegungen dazu anstellen sollte, wie man es zukünftig verhindern könnte, dass die vier-, sechs- und siebenjährigen Kinder nachts unbemerkt das Haus verlassen.
Daraufhin berichtet die Mutter stolz, dass sie die Kinder natürlich gleich nach dem ersten Mal in ihrem Zimmer eingesperrt hätten. Der Vater bemerkt trocken, dass die kleinen »Mistbälger« dann aber durchs Fenster entkommen seien. Danach, so beide Eltern, sei ihnen »echt nichts mehr eingefallen«. Schließlich hätten sie sich ja wohl kaum die ganze Nacht unterm Fenster auf die Straße stellen können. »Also,
das
kann ja nun wirklich niemand von uns verlangen! Wir müssen ja auch mal schlafen, verstehen Sie? Wir haben ja auch noch ein eigenes Leben! Es kann sich ja auch nicht
immer alles nur
um die Kinder drehen!« In dem zweistündigen Gespräch erkundigen sich die Eltern kein einziges Mal nach ihren Kindern.
17 : 30 Uhr
Verabredung mit meinem Schreibtisch, auf dem sich die noch unfertigen Gutachten in den oben genannten Fällen sowie einige Akten mit neuen Aufträgen stapeln. Die Fragestellungen der Familiengerichte in den Aufträgen sind oft ähnlich, teilweise wörtlich identisch. Doch hinter diesen immer gleichen Begrifflichkeiten stehen jeweils völlig unterschiedliche Fälle. Bei jedem einzelnen bin ich fest entschlossen, das Leben der entsprechenden Kinder so viel zu verbessern wie irgend möglich.
Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey!
Es roch nach Schweiß, Zigarettenqualm, Frittierfett und nassem Hund. Mal wieder.
Dieser Geruch fällt mir bei so vielen Leuten, zu denen ich als Gutachterin komme, auf. Manchmal mit mehr Zigarettenqualm, manchmal variiert durch Windel- und Erbrochenemaroma, falls kleine Kinder und/oder schwerste Alkoholiker im Haushalt leben. Aber irgendwie ist er doch immer ähnlich. Warum frittieren diese Leute alle ihr Essen? Ist das billiger? Geht das schneller? Oder handelt es sich um eine Familientradition? Jemand sollte diesen Zusammenhang einmal erforschen.
Es ging diesmal um eine Mutter und ihre siebenjährige Tochter, Schakkeline. Ja, genau. Schakkeline. Wird genauso geschrieben. Und gesprochen. Ja, auch geschrieben. Mit sch, zwei k und allem Drum und Dran: Schakkeline.
Wie in einer schlechten
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