Die Schale der Winde
Auch seine gezogene Klinge war mit dem Reiher gekennzeichnet. Darlins Klinge entbehrte dieses Zeichen, aber er sah Rand und sein Schwert abschätzend an und nickte dann mit tieferem Respekt, als er ihn Tomas Trakand, aus einem niederen Zweig des Hauses, gewährt hatte.
Die grauhaarige Grüne hatte eindeutig die Führung übernommen, und sie behielt sie trotz versuchten Widerstands von Darlin bei, der wie viele Tairener Aes Sedai anscheinend nicht sehr mochte, und von Toram, der einfach jedermann zu verabscheuen schien, der außer ihm Befehle gab. Das gleiche galt im übrigen für Caraline, aber Cadsuane ignorierte ihr Stirnrunzeln ebenso gründlich wie die geäußerten Beschwerden der Männer. Anders als diese, schien Caraline zu erkennen, daß Beschwerden nichts nützen würden. Und Rand ließ sich - Wunder über Wunder - sanftmütig zu Cadsuanes Rechten aufstellen, als sie rasch alle anwies. Nun, nicht wirklich sanftmütig - er sah sie von oben herab auf eine Art an, die Min, wenn sie an Cadsuanes Stelle gewesen wäre, dazu veranlaßt hätte, ihn zu schlagen; Cadsuane schüttelte jedoch nur den Kopf und murmelte etwas, das ihn erröten ließ -, aber er hielt zumindest den Mund. In dem Moment erwartete Min halbwegs, daß er seine wahre Identität preisgeben würde. Und sie erwartete beinahe, daß der Nebel aus Angst vor dem Wiedergeborenen Drachen verschwinden würde. Rand lächelte ihr zu, als sei Nebel bei diesem Wetter vollkommen normal, selbst ein Nebel, der Zelte und Menschen fortriß.
Sie bewegten sich in dem dichten Dunst in der Formation eines sechszackigen Sterns, Cadsuane an einer Spitze, je eine Aes Sedai an jeweils zwei anderen und je ein Mann mit einem Schwert an den drei übrigen Spitzen. Toram protestierte natürlich lauthals dagegen, die Nachhut bilden zu sollen, bis Cadsuane etwas von der Ehre der Nachhut murmelte. Das stellte ihn ruhig. Min hatte keinerlei Einwände gegen ihre Position mit Caraline in der Mitte des Sterns. Sie hielt in beiden Händen einen Dolch und fragte sich, ob sie von Nutzen sein würden. Es erleichterte sie gewissermaßen, den Dolch in Caralines Faust zittern zu sehen. Zumindest ihre Hände waren ruhig. Andererseits, dachte sie, hatte sie vielleicht zu große Angst, um zu zittern.
Der Nebel verbreitete winterliche Kälte. Graue Nebelschwaden schlossen sich umherwirbelnd um sie, so schwer, daß es schwierig war, die anderen deutlich zu sehen. Hören konnte man jedoch nur allzu gut. Schreie hallten durch die Undurchdringlichkeit heran, das Aufschreien von Männern und Frauen und das Wiehern von Pferden. Der Nebel schien die schrecklichen Laute zu dämpfen, ließ sie hohl klingen, so daß sie dankenswerterweise fern schienen. Vor ihnen wurde der Nebel dichter, aber plötzlich schossen Feuerkugeln aus Cadsuanes Händen und zischten durch das eisige Grau, so daß der Nebel in ein einziges, brüllendes Flammenmeer ausbrach. Brüllen hinter ihnen und vor dem Nebel aufscheinendes Licht wie Blitze vor Wolken zeugten davon, daß auch die beiden anderen Schwestern am Werk waren. Min verspürte nicht den Wunsch zurückzublicken. Was sie vor sich sah, genügte vollkommen.
Sie zogen an niedergetretenen, halbwegs von grauem Dunst verborgenen Zelten und an Körpern oder Körperteilen vorbei, die vom Nebel kaum verhüllt wurden. Ein Bein. Ein Arm. Der Oberkörper eines Mannes. Einmal der Kopf einer Frau, der sie von der Ecke eines umgestürzten Wagens anzugrinsen schien. Die Landschaft begann immer steiler anzusteigen. Min sah die ersten Lebenden neben ihnen und wünschte, sie hätte sie nicht gesehen. Ein Mann, der eine der roten Jacken trug, stolperte auf sie zu und winkte schwach mit dem linken Arm. Der andere Arm war fort, und nasse weiße Knochen waren zu sehen, wo die rechte Gesichtshälfte gewesen war. Etwas, das wie Worte klang, drang durch seine Zähne hervor, und er brach zusammen. Samitsu kniete sich kurz neben ihn und legte einen Finger an die blutigen Überreste seiner Stirn. Als sie sich wieder erhob, schüttelte sie den Kopf, und sie zogen weiter. Es ging beständig aufwärts, bis Min sich zu fragen begann, ob sie einen Berg anstatt einen Hügel erklommen.
Unmittelbar vor Darlin nahm der Nebel jäh Gestalt an, eine mannshohe Erscheinung, die aber nur aus Tentakeln und gähnenden Schlünden voller scharfer Zähne bestand. Der Hohe Herr war vielleicht kein Schwertmeister, aber er war auch nicht langsam. Seine Klinge schnitt mitten durch die sich noch immer bildende Gestalt,
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