Die Schanz
Mädels!»
Astrid und Sofia zögerten keine Sekunde, geduckt liefen beide auf die jeweilige Haustür zu.
«Was war denn?», brüllte Toppe zurück.
Bonhoeffer wich ein paar Schritte zur Seite, der alte Kastanienbaum knarzte bedrohlich.
«Die Abdeckung hatte sich losgerissen. Alles flog wild durch die Gegend.»
Sie hatten die Bodendielen, die sie noch verlegen mussten, draußen gestapelt gehabt. Jetzt lagen sie in einem Haufen kreuz und quer, aber wenigstens waren sie wieder mit Folie bedeckt und ein paar großen Steinen gesichert.
«Danke!»
«Keine Ursache!»
Sie brüllten sich weiter an und grinsten dabei.
«Noch einen Grog?»
«Bin zu kaputt! Die Dachziegel kommen runter!»
«Kein Problem, untendrunter ist alles dicht.»
«Wir sehen uns morgen übrigens beruflich», röhrte Toppe gegen den Wind.
«Wie bitte?»
«Beruflich! Morgen! Ich bring dir was!»
«Fein! Bis morgen dann!»
Drei
Der Sturm hatte die Atmosphäre nicht gereinigt. Neue Wolkenfelder waren gefolgt und hatten einen stetigen dicken Regen gebracht. Der Rhein stand so hoch, dass man die Zaunpfosten der Uferweiden nicht mehr sehen konnte, hier und da lugten ein paar Baumwipfel aus der riesigen Wasserfläche.
Toppe ließ den Wagen auf der Schleichspur der Emmericher Brücke ausrollen, schaltete die Warnblinkanlage ein und schaute sich um. Beim Hochwasser 1995 hatte der Rhein an den Deichkronen genippt. Man hatte die Dämme für den Verkehr gesperrt, denn vollgesogen waren sie schwammig wie Pudding gewesen. In aller Hast hatte man bei Zyfflich einen Querdeich gebaut und unzählige Sandsäcke gestapelt. In Holland hatte man ganze Ortschaften evakuiert, auf der deutschen Seite hatten THW und Bundeswehr mit großen Fähren das Vieh der Bauernhöfe in der Niederung abgeholt und in Notunterkünfte gebracht, etliche Rinder waren dennoch ertrunken. Man hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, aber dann war noch einmal alles gut gegangen.
Ein paar Lastkähne kämpften sich stampfend flussaufwärts, deutlich weniger als sonst, vielleicht war der Schiffsverkehr schon eingeschränkt worden.
Toppe schaute zu den Brückenpfeilern hoch. Vor Jahren hatte man sie im strahlenden Rot der Golden Gate Bridge lackiert, aber die Farbe war schnell zu einem matten Rosa verblichen, was ihm besser gefiel, es passte zum sanften Grau des Stroms.
Er bedachte die Kühltasche auf dem Beifahrersitz mit einem schiefen Blick. Klaus van Gemmern hatte den Fußrest samt Schuh aus dem Maisgebiss herausgelöst. Nun war es an Toppe, ihn nach Emmerich in die Pathologie zu bringen und bei der Untersuchung anwesend zu sein, eine Aufgabe, die ihm schwer fiel und vor der er sich gern drückte. Aber der zuständige Pathologe war sein Freund Arend Bonhoeffer, und der wusste mit der Panik, die Toppe bei jeder Leichenöffnung unweigerlich übermannte, umzugehen.
Während er mit seiner Kühltasche die verwinkelten Gänge entlangwanderte, fragte er sich wieder einmal, warum man forensische Abteilungen so gern in Kellergeschossen unterbrachte, die nicht nur bedrückend finster, sondern obendrein noch schlecht belüftet waren. Aber vielleicht bildete er sich den klebrig süßen Geruch auch nur ein.
Bonhoeffer saß in seinem Büro und diktierte einen Bericht. «Setz dich, ich bin gleich fertig.»
Toppe stellte die Tasche auf den Boden und nahm die Tageszeitung, die auf dem Schreibtisch lag. Ein Foto von der Altrheinbrücke bei Griethausen, die jeden Moment überflutet werden konnte, ein Bericht über die letzten «Jahrhunderthochwasser», auf Seite drei ein Leserbrief. Der Schreiber monierte die überfällige Sanierung eines neunzehn Kilometer langen, angeblich seit Jahren maroden Deichstücks zwischen Niedermörmter und Grieth. Der Deichverband wiegt uns in falscher Sicherheit, schrieb der Mann. Ein Bruch in diesem Bereich, da sind sich die Experten einig, ist vorprogrammiert, und bei der momentanen Wetterlage möglicherweise nur eine Frage von Tagen. Das nachfolgende Szenario mag man sich kaum vorstellen. Ich weise nur auf das Bedburger Industriegebiet hin, das völlig überflutet würde, ebenso das Industriegebiet von Kleve, das man intelligenterweise ins Flutgebiet gesetzt hat, obwohl es ausreichend Alternativen gegeben hätte.
Toppe runzelte die Stirn. «Hast du das gelesen?»
Bonhoeffer schaltete sein Diktaphon ab. «Der Typ hatte gestern schon einen Brief in der Zeitung. Angeblich bereiten sich die Niederländer auf die Sprengung von Deichen vor, damit ihre Grenzdörfer nicht
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