Die Schatten des Mars
Vermutlich kam ihnen diese Entwicklung sogar entgegen, eröffnete sie ihnen doch die Möglichkeit, nach außen die Fiktion einer intakten Familie aufrechtzuerhalten. Auch wenn Wien nur ein paar hundert Kilometer von Meerburg entfernt lag, galt es zwischen den Beteiligten doch als ausgemacht, daß sich der Kontakt fortan auf gelegentliche Telefonate beschränken würde.
Julius’ Entschluß, sich gerade in Wien einzuschreiben, hatte allerdings einen sehr speziellen Grund, den er seinen Eltern vorenthalten hatte: Professor Siegmund Prohaska, der an der Wiener Universität eine Gastprofessur innehatte. Prohaska galt als eine der schillerndsten Gestalten innerhalb der AI-Forschung und veröffentlichte in unregelmäßigen Abständen provozierende Aufsätze, die stets zu aufgeregten Diskussionen innerhalb der Fachwelt führten. Der umstrittene Forscher arbeitete zurückgezogen in den Räumlichkeiten eines privat finanzierten Forschungslabors in der Nähe von Klosterneuburg, das er normalerweise nur ungern verließ, so daß seine Verpflichtung an die Universität als kleine Sensation galt. Wenn stimmte, was Prohaskas Anhänger in den einschlägigen Internetforen verbreiteten, dann standen die Forschungen des Professors unmittelbar vor dem Durchbruch. Wie zuverlässig diese Informationen waren, blieb offen, dennoch wollte Julius in der Nähe sein, wenn es tatsächlich dazu kam ...
Die Herrin der Masken
Der Rummel ist da! riefen die Kinder und stoben jubelnd davon. Am liebsten wäre ihnen Martin nachgelaufen – wie früher, als sie Stunden damit verbracht hatten, den tätowierten Männern beim Aufbau der Zelte und Fuhrgeschäfte zuzusehen.
Wie lange war das eigentlich her?
Martin wußte es nicht genau. Es hatte schon lange keinen Jahrmarkt mehr in der Stadt gegeben. Vielleicht hatte das mit dem Krieg zu tun, den Anschlägen und den vielen Straßensperren. Irgendwann waren sie ausgeblieben, die Leute mit den bunten Wagen, und niemand hatte es bemerkt ...
Das war auch der Grund für Martins anfängliche Skepsis gewesen, als er heute morgen die bunten Papptafeln gesehen hatte, die die Schausteller über Nacht aufgestellt hatten: Merlin & Rogers – Der berüh m teste Jahrmarkt Neu-Englands – Nur eine W o che!
Dennoch kostete es ihn wenig Mühe, seine Freunde – den Professor, Pete Sterling und Ronny O’Neill, zu überreden – nach dem Unterricht mit ihm hinaus zum Festplatz zu fahren, um der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Zwei Stunden später war es dann endlich soweit, und tatsächlich: Da standen sie, die bunten Wohnwagen, die riesigen alten Sattelschlepper und die Verkaufstände mit ihren marktschreierischen Aufschriften: »Lady Catanga’s Zauberamulette«, »Farmer’s Papa-geien-Schau« und »Little Las Vegas – Das Große Glücksrad«.
Alles war wie früher, und für einen Augenblick hatte Martin das schwindeligmachende Gefühl, als sei die Zeit stehengeblieben. Gleich würde er nach Hause laufen, die Neuigkeit verkünden und Dad um ein paar Scheine anpumpen ...
Martin zuckte zusammen, als ihn Pete anstieß und grinsend auf eines der bunten Schilder deutete. » Magic Love Palace« stand dort geschrieben, und die Bilder ließen vermuten, daß die zu erwartenden Darbietungen alles andere als jugendfrei sein würden.
»Na und?« konterte Martin mit der Gelassenheit des Kenners. »So alt wie der Wagen aussieht, machen die das schon seit dreißig Jahren mit dem gleichen Personal – oder sie spielen überhaupt nur Videos ab ...«
»Außerdem lassen die uns da gar nicht rein«, entschied Ronny, und damit war das Thema erledigt.
»Treffen wir uns heute abend?« Pete schien es gar nicht erwarten zu können, sich in den Trubel zu stürzen.
»Klar, was denn sonst!« Ronny nickte eifrig, und selbst Jeff, der sonst um keine Ausrede verlegen war, ließ sich zu einem zustimmenden Murmeln herab.
»Und du, Marty?«
»Ich bin dabei«, bestätigte Martin, obwohl ihm gerade eine Idee gekommen war, die das bevorstehende Ereignis in einem völlig anderen Licht erscheinen ließ. Aber warum sollte er die Freunde vor den Kopf stoßen ...
So verabredeten sie sich für den Abend und radelten dann im Eiltempo zurück zum Schulgebäude, um den Beginn der Nachmittagskurse nicht zu verpassen.
Obwohl Astronomie eigentlich Martins Lieblingsfach war, konnte er sich nicht erinnern, jemals so ungeduldig auf das Ende eines freiwilligen Kurses gewartet zu haben wie heute nachmittag. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl
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