Die Schattenflotte
durch seine bilateralen Beziehungen gleichwohl zur tragischen Figur wurde. Der Frage, inwieweit es Naivität oder wirtschaftliche Interessen waren, weshalb sich Ballin so lange hatte blenden lassen, soll hier nicht nachgegangen werden. Festzustellen bleibt, dass er Wilhelm II. und Admiral Tirpitz sowie die Flottenrüstung lange Zeit mit vollem persönlichem Einsatz unterstützte. Nach 1908, als die Fakten und der eigentliche Zweck der Hochrüstung für jedermann erkennbar waren, versuchte Ballin noch zu schlichten und bis zum Ausbruch des Weltkriegs zu vermitteln, aber die Fäden waren ihm längst entglitten. Dem Untergang des Reichs folgte der Zusammenbruch des Unternehmens – einem Kapitän gleich blieb Ballin auf dem sinkenden Schiff: Einen Tag nachdem Mitglieder des revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates auch das Verwaltungsgebäude der Hapag am Alsterdamm besetzthatten, starb Ballin, angeblich durch eine unabsichtliche Falschdosierung seiner Medikamente.
Von 1884 bis 1885 hatte Albert Ballin an der Moorweidenstraße gewohnt, danach zog er in die Heimhuderstraße. 1902 bezog er mit seiner Familie ein Haus in der Badestraße, bis er sich 1908 eine große Villa in der Feldbrunnenstraße bauen ließ, in der auch Wilhelm II. bei seinen Besuchen in Hamburg häufig zu Gast war. Trotz der freundschaftlichen Beziehungen zum Monarchen (zusammen mit James Simon, Fritz von Friedländer-Fuld u. a. gehörte Ballin zum Kreis der sogenannten Kaiserjuden) blieb Ballin auf dem gesellschaftlichen Parkett der Stadt stets ein Außenseiter. Obwohl man den Erfolg seiner Arbeit entsprechend zu würdigen wusste, war Ballin zu keinem Zeitpunkt Mitglied in einem Gremium der Stadt. Er stand lediglich für kurze Zeit an der Spitze einiger Handels- und Seefahrtvereinigungen, so des Hamburgischen Vereins Seefahrt, der Kolonialgesellschaft sowie des Vereins Hamburger Reeder. Deutlich mehr Aktivitäten zeigte Ballin als Vorsitzender der Hamburger Sektion des Flottenvereins.
Der Flottenverein war am 30. April 1898 durch Wilhelm Fürst zu Wied und Alfred Tirpitz gegründet worden, um die Flottenbaupläne Wilhelms II. im Reich populär zu machen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte der Verein mehr als eine Million Mitglieder, und vor allem in bürgerlichen Kreisen entwickelte sich über die Jahre fast eine Flottenmanie, die darin gipfelte, kleine Kinder mit Matrosenanzügen und ebensolchen Kleidern auszustaffieren. Der mit der Flottenrüstung einhergehende wirtschaftliche Aufschwung und die damit verbundene Schaffung neuer Arbeitsplätze erklären die euphorische Stimmung und die breite Unterstützung des Flottenprogramms,hinzu kamen die Aufstiegschancen in Form der höheren militärischen Laufbahn, die den bürgerlichen Kreisen zumindest im Heer bislang verwehrt geblieben war. Die Schiffe Seiner Majestät mussten nicht nur gebaut, sondern auch besetzt werden. Schon nach wenigen Jahren begann durch das Bauprogramm ein kaum mehr zu kontrollierender Wettlauf um immer stärkere, größere und effizientere schwimmende Festungen.
Das in diesem Roman fiktiv mit Turbinenantrieb und Schlingertanks ausgestattete
Superschiff
Kaiser Karl der Große wurde wenige Jahre später in England Realität: die 1906 in Portsmouth fertiggestellte Dreadnought war 160 Meter lang, hatte 22 800 BRT, eine bis zu 30 Zentimeter starke Armierung, Geschütze mit einem Durchmesser von 30,5 Zentimeter und war dank eines Antriebs mittels Parsons-Turbinen über 21 Knoten schnell. Quasi über Nacht waren dadurch alle Schiffe des Reichs veraltet. Aber die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und die Dimensionen wuchsen weiter. Der 1913 bei Blohm + Voss gebaute Panzerkreuzer Derfflinger war schließlich über 200 Meter lang und 29 Meter breit und erreichte mit einer Maschinenleistung von 63 000 PS eine Geschwindigkeit von 26,5 Knoten. Nach Kriegsbeginn wurden 1915 auf derselben Werft über 30 Meter breite Linienschiffe mit Geschützen von 38,1 Zentimeter Durchmesser gebaut. In weiser Voraussicht der zukünftigen baulichen Dimensionen hatte man bereits 1907 den Kaiser-Wilhelm-Kanal, der vorher nur für Schiffe von maximal 135 Meter Länge, 20 Meter Breite und einem Tiefgang von 8 Metern passierbar war, den Bedürfnissen angepasst, damit die nun mehr als 50 Millionen Goldmark teuren Linienschiffe der Marine den strategischen Verkehrsweg nutzen konnten. Gegenüber diesen Kosten wirkten die von
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