Die Schattenflotte
«Und die Razzia von Leutnant Völsch haben Ihre Leute auch vereitelt.»
«Ja, das ist gerade noch mal gut gegangen. Ich erfuhr nur zufällig davon – aber wirklich eingreifen mussten wir nicht. Man kann ja auch nichts finden, wenn man nicht weiß, wonach man sucht.»
«Sie Schwein. Wer steckt hinter diesem Geschäft?»
«Jetzt ist es genug!» Der Gesichtsausdruck von Hauptmann Beck veränderte sich schlagartig. Hass und Niedertracht verzerrten seine Züge. Beck hob seine Pistole und richtete den Lauf auf Sören.
Sören spürte, wie sich Tildas Griff um seine Hand verstärkte. Tue etwas, schien sie zu flehen.
«Sie dürfen Ihrer Gemahlin gerne noch etwas Nettes sagen, bevor wir die Sache zu Ende bringen.»
«Tun Sie ihr nichts.»
Beck lächelte hämisch. Dann machte er einen Schritt in seine Richtung, den Lauf der Pistole auf Sörens Stirn gerichtet. «Nun? Ich höre nichts.»
Sören hörte nur den Schuss. Er kam zu früh. Er hatte Tilda noch einmal anschauen wollen, aber nun war es zu spät. Das also war das Ende. Sören fühlte keinen Schmerz.Hatte er nicht getroffen? Nichts, nichts geschah. Gleich würde ein zweiter Schuss zu hören sein. Diesmal zielte Hauptmann Beck auf Sörens Herz. Immer noch kein Schuss. Nein, er schien die Waffe nicht richtig unter Kontrolle zu haben. Sein Arm senkte sich immer weiter. Sören schaute Beck in die Augen, die ihn verständnislos anstarrten. Dann konnte Sören erkennen, wie sich das ganze Gesicht des Mannes merkwürdig verzerrte. Seine Mundwinkel verkrampften sich. Er kam auf ihn zu, nein, Beck schien ihm entgegenzuschwanken, dann fiel sein Körper steif wie ein Brett vorne über und landete genau vor Sörens Füßen. Auf seinem Rücken klaffte eine blutende Wunde.
Sören schaute zu Tilda. Sie hatte die Augen geschlossen. Dann war eine laute Stimme zu hören: «Alle die Hände hoch! Alle! Waffen runter!» An der Treppe erschienen mehrere uniformierte Polizisten und stürmten in den Salon.
Sören legte Tilda schützend den Arm um die Schultern. Am Sockel der Treppe erkannte er Martin, der ihn erschrocken anblickte. Neben ihm erschien das Gesicht von Senator Sthamer, dahinter konnte er Polizeidirektor Roscher erkennen.
«Verhaften!», schrie ein Polizeileutnant. «Alle verhaften!»
Roscher starrte auf die uniformierten Wachtmeister, die ihre Gewehre fallen gelassen hatten. «Was ist hier los?»
«Du kommst spät», meinte Sören zu Martin gewandt.
«Ich weiß», entgegnete Martin. «Aber nun bin ich ja da.»
Neue Aussichten
Sören und Tilda standen an der Pier der Landungsbrücken und hatten ihre Taschentücher gezückt. Wie viele andere Menschen winkten sie dem Schiff hinterher, das gerade abgelegt hatte. Ein Dampfer der Hapag, auf dem Weg nach Amerika.
«Und Ballin hat wirklich von alldem nichts gewusst?», fragte Tilda.
«Seine anfängliche Verblüffung wich einer Empörung, die unmöglich gespielt sein konnte», erwiderte Sören. «Er hat sich auch sofort kooperativ gezeigt, die Angelegenheit restlos aufzuklären. Soweit wir wissen, waren das Etablissement und die Zuführung der Vergnügungssüchtigen die Idee eines gewissen Georg Willich. Willich arbeitete in der sozialpolitischen Abteilung der Hapag. Er war nicht nur zuständig für die kulturellen Veranstaltungen, welche die Hapag für ihre Belegschaft organisiert, um sie von den Einflüssen der Sozialdemokraten fernzuhalten, sondern er war auch verantwortlich für den Rücktransport der abgewiesenen Auswanderer in ihre ehemaligen Heimatorte. Irgendwann im letzten Jahr muss er dann auf die Idee gekommen sein, die beiden Dinge auf diese fürchterliche Weise miteinander zu verknüpfen. Für die Umsetzung holte er sich mehrere bestechliche Beamte der Hapag mit ins Boot und bediente sich einiger korrupter Polizisten – an erster Stelle Polizeihauptmann Beck, der ihm die nötige Rückendeckung für sein Vorhaben gab und aufgrund seinesRanges dafür sorgen konnte, dass das geheime Bordell unentdeckt blieb. Man kann sich ja ungefähr vorstellen, was da für Gelder erwirtschaftet wurden.»
«Es ist geradezu widerlich.»
«Ja, was die Frauen zu Protokoll gegeben haben, ist wirklich erschreckend. Man kann nur hoffen, dass sie das Erlebte irgendwann vergessen können.»
«In einer neuen Welt.» Tilda deutete auf den Dampfer. Am Achterdeck waren die Menschen nur noch als kleine Punkte zu erkennen.
«Ballin hat dafür gesorgt, dass es diesmal bei der Einreise keine Schwierigkeiten geben wird. Nicht nur, dass alle
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