Die Schattenkämpferin 1 - Das Erbe der Drachen
er reagierte nicht. Kalt und gefasst hatte er bereits wieder ein Lächeln für den nächsten Gast parat.
Sulana zog sich so hastig aus, dass die Magd, die ihr dabei half, fast ungeduldig wurde.
»So ruiniert Ihr noch Euer Brautkleid!«, stöhnte sie.
Das war Sulana gleich. Sie würde es ohnehin nie mehr tra gen. Nun stand die Hochzeitsnacht bevor, und sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder Angst haben sollte.
Mit blassem Gesicht betrat sie das Schlafgemach, das nur vom Schein einer einzigen Kerze und vom strahlenden Mond der Sommernacht erhellt wurde. Es war leer.
Sulana verharrte auf der Stelle, wandte sich um und blickte den Flur hinunter, aber auch dort war niemand. Sie rief nach der Magd. »Wo ist der König?« »Ich weiß es nicht, Herrin, ich habe ihn nicht hinausgehen sehen.«
Wo war Dohor? Was konnte ihm wichtiger sein als seine Braut?
Stocksteif saß Sulana auf der Bettkante in der törichten Sorge, das Bettlaken zu verknittern. So wartete sie.
Es war tiefste Nacht, und von Dohor keine Spur. Was war geschehen? Sulana hielt das Warten nicht länger aus. Barfuß lief sie durch den dunklen Garten. Sie mochte das angenehme Kitzeln der Grashalme unter den Fußsohlen.
Sie seufzte und dachte an die Träume ihrer Jugend zurück, von denen nun nichts mehr übrig zu sein schien.
Da hörte sie ein Flüstern. Sie fuhr herum und verharrte. Dann ging sie ihm nach, versuchte, keinen Laut zu machen.
Wer konnte das sein? Zu dieser späten Stunde hatte im Garten niemand mehr etwas zu suchen. Einen Augenblick lang machte sie sich vor, Dohor warte hier auf sie, um sie zu überraschen. Gewiss, ein dummer Einfall, aber vielleicht lieb gemeint.
Als sie bei der Buchsbaumhecke unter der Weide einen Schatten erblickte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Gemurmel. Zwei Stimmen. Und zwei Gestalten. Sie versteckte sich hinter dem Baumstamm. »Und wieso seid Ihr nicht zur Zeremonie gekommen?«
»Menschen wie ich betreten Paläste nur zu bestimmten Anlässen, und die sind längst nicht so fröhlich wie eine Hochzeit. Wo wir auftauchen, ist der Tod nicht weit.«
Es war eine kalte, monotone Stimme mit einem kaum wahrnehmbaren amüsierten Unterton. Die andere Stimme war unverwechselbar. Es war Dohor. Sulana erkannte sein Lachen wieder.
»Sehr gut. Ich verstehe. Nun, habt Ihr mir sonst noch etwas mitzuteilen?«
»Im Augenblick nicht. Es sei denn, Euch ein Lob auszusprechen: Ihr habt Euch als ein sehr aufgeweckter, scharfsinniger junger Mann gezeigt.«
»Andernfalls stände ich wohl jetzt nicht hier.«
»Aber das ist doch bloß der Anfang, nicht wahr?«
»Gewiss.«
Erneut dieses feine Lachen, das Sulana bis zu diesem Tag noch das Herz geöffnet hatte und sie jetzt vor Kälte erstarren ließ.
»Mit Sicherheit werde ich auch in Zukunft auf Eure Dienste und die Eurer Sekte zurückgreifen.«
»Wir sind stets zu allem bereit. Unseren Preis werdet ihr natürlich nicht vergessen haben ...«
»Nein, und es sollte mir nicht schwerfallen, diese Nachforschungen im Großen Land anstellen zu lassen.«
Der andere Mann verneigte sich elegant. »Schade, dass wir hier keinen Wein haben, um auf unseren Handel anzustoßen.«
»Das holen wir nach, wenn unsere Zusammenarbeit die ersten Früchte trägt.« Sulana beobachtete, wie sich Dohor auf den Weg zurück in den Palast machte. Ihre Beine waren wie gelähmt, aber sie musste sich sputen, um noch rechtzeitig in ihr Schlafgemach zu gelangen. Das tat sie. Zum Glück kannte sie sich im Palast besser aus als ihr Gemahl.
Kurz vor ihm traf sie bei ihren Gemächern ein, schlüpfte hinein, legte sich aber nicht unter die Decke, sondern setzte sich auf das Bett, mit angezogenen Knien, die sie mit den Armen umfasste.
Schon öffnete Dohor leise die Tür. Als er sah, dass sie wach war, verharrte er überrascht auf der Schwelle. »Du schläfst noch nicht?« »Ich habe auf dich gewartet.«
Er schloss die Tür hinter sich. »Es tut mir leid. Ich hätte dir ausrichten lassen müssen, dass ich noch zu tun habe. Aber es war wirklich nicht nötig, auf mich zu warten.«
Höflich. Aber kalt. Er stellte sich hinter den Wandschirm und zog sich um. Sulana hörte, wie er mit einem Krug Wasser hantierte, wie er sein Schwert zur Seite legte. Kein Wort für sie. Ihr hingegen lagen viele Fragen auf den Lippen. Mit seinem Wams und seiner Uniformhose über dem Arm trat Dohor hinter dem Wandschirm hervor, nahm die Kerze neben dem Bett zur Hand und schickte sich an, sie zu löschen. »Wo warst
Weitere Kostenlose Bücher