Die Scheune (German Edition)

Vorwort:
     
    Mein Name ist Jim. Eigentlich heiße ich James Richard Clark, aber Freunde nennen mich einfach nur Jim. Ich bin Chirurg, 44 Jahre alt und war viele Jahre im Cedars Sinai Medical Center in Los Angeles auf der Unfallstation tätig. Dort lernte ich 1978 Dane Galloway kennen. Er war neu in der Stadt, ungefähr in meinem Alter und hatte sich sein rechtes Bein gebrochen. Damit war er in meine Behandlung gekommen. Wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass wir enge Freunde wurden.
    Von seiner Vergangenheit hatte ich nie etwas erfahren. Ich hatte auch nie danach gefragt. Dadurch bekam unsere Freundschaft so etwas wie Makellosigkeit, etwas Unkompliziertes. Wir waren einander unvoreingenommen, und ich zweifelte keinen Tag an seiner Aufrichtigkeit. Bei ihm war Fröhlichkeit stets an der Tagesordnung. Das machte ihn so beliebt bei mir und anderen.
    Dann ist da noch Johnathan, Johnathan Gepart. Er ist der dritte in unserem Bunde. Johnathan ist gute 20 Jahre älter als Dane und ich. Er war der Freund meines verstorbenen Vaters, und wir haben nach dem Tod meines Vater einfach weiter Kontakt gehalten. Johnathan ist ein furchtbar lieber Zeitgenosse, der immer von einem eigenen Lokal träumte. Wir haben oft darüber gesprochen, aber nie hatte Johnathan den Mut, seinen Traum umzusetzten. Das änderte sich, als Dane in unser Leben trat. Dane suchte Arbeit und hatte den gewissen Biss dafür. Ich stellte die beiden einander vor, und die Dinge nahmen ihren Lauf. Da sie sich auf Anhieb sehr gut verstanden, kauften sie gemeinsam ein altes Gebäude mitten in Glendale.
    Fünfzehn Jahre lang führten sie dort ein erfolgreiches Lokal, das sie Running Horse nannten.
    Es waren die besten fünfzehn Jahre in unserem Leben.
    Dann kam das Unglücksjahr 1993. Es brachte eine entsetzliche Wende in unsere Freundschaft. Dane wurde das Opfer eines Überfalls mit anschließender Vergewaltigung. Wir konnten das Ausmaß der Brutalität nicht fassen. Es riss uns wie eine Flutwelle aus dem Alltag. Tag für Tag sahen wir Danes psychischem Zerfall hilflos zu. Wir konnten ihn nicht aufhalten, auch nicht, als Dane wieder zurück in seine Heimat reiste und den Ort aufsuchte, der einst seine Seele in unvorstellbarem Maße zerstörte – die Scheune.
     
     
     
    1978. Glendale / Kalifornien. Dane, 23 Jahre.
    Dane rannte, denn es regnete abscheulich. Es machte die Nacht dunkler, als sie war.
    Seine Schuhe traten durch die Pfützen, und aufspritzendes Wasser verschmutzte seine Hosenbeine. Oh, wie er das hasste. Während er die letzte Straße entlangrannte, wühlte seine rechte Hand schon nach dem Schlüssel in der Jackentasche.
    Seine letzten Schritte bis zur Tür wurden langsamer, und er suchte frierend und durchnässt das Schlüsselloch. Genau in diesem Moment peitschte ein Schuss durch die Nacht, unmittelbar an seinem rechten Ohr vorbei. Zeitgleich ertönte der Einschlag der Kugel in das schwere Holz der Eingangstüre des Running Horse. Das ließ ihn panisch zusammenzucken und eine duckende Haltung einnehmen. Wer zum Teufel schoss auf ihn? Er drehte sich geschwind um, und sein Blick erfasste eine große Gestalt in der Dunkelheit auf der anderen Seite der Straße. Der dichte Regen machte einen Blickkontakt unmöglich, aber Dane erkannte den großen Mann sofort. Es gibt Dinge, die man selbst nach zwanzig Jahren nicht vergisst.
    Dane stand wie gelähmt vor der verschlossenen Tür und sah, wie der Mann wieder fortrannte.
    Er konnte es nicht fassen. Jetzt lebte er bereits seit sechs Monaten in Glendale und fühlte sich im Kreise seiner neuen Freunde wirklich wohl. Alles hatte endlich seine Ordnung: seine Tage, seine Nächte. Und es funktionierte. Er war zum ersten Mal in seinem Leben richtig glücklich.
    Dane sah auf das Einschussloch. Die Kugel war unmittelbar in seiner Kopfhöhe eingeschlagen. Der Regen prasselte unablässig auf ihn nieder . Er stand dort und starrte nur auf dieses Loch in der Tür des Running Horse. Ein Loch, in das er mit all seinen Gefühlen hineinstrudelte.
     
     
    1993. Fünfzehn Jahre später.
    Glendale / Kalifornien. Dane, 38 Jahre.
    Die Geschichte, die hier 1978 mit einem einzigen Schuss begann, war der Beginn einer unerbittlichen Jagd zwischen Dane und seinem einstigen Peiniger. Wir hatten von der Jagd all die Jahre nichts mitbekommen. Sie war wie ein unsichtbarer Film neben uns abgelaufen. Erst als sie in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1993 für Dane ein bitteres Ende fand, kam sie für uns ans Tageslicht. Leider war es nicht