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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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nicht statt. Vielleicht, so Ulrikas Vermutung, weil es in diesem Teil der Welt zu wenig Bäume gab und Holz dementsprechend zu wertvoll war, um es an die Verurteilten zu verschwenden. Wie zu erkennen war, hatte man die toten und sterbenden Opfer alle mit dem Zeichen gebrandmarkt, das sie als Gotteslästerer und Frevler gegen die Götter der Stadt auswies.
    Nachdem Ulrika ein stilles Gebet für ihre Seelen gesprochen hatte, reihte sie sich unter die Scharen ein, die zu Fuß aus der Stadt strömten. Gleich vor ihr lag der große Sammelplatz für Karawanen aus dem Osten.
     
    Als Sebastianus auf die
Ishtars Entzücken
zueilte, einem kleinen Schiff mit an Deck vertäuten Weinamphoren, und zwölf Bootsmänner sich bereitmachten, ihre Ruder ins Wasser zu tauchen, sah er unweit des Stadttors eine Frau in der Menge untertauchen. Er blieb stehen und kniff die Augen zusammen. Ihre Größe, ihre Figur, ihr Gang …
    War sie es? Oder versteifte er sich so sehr darauf, Ulrika zu finden, dass er sie jetzt in jeder Frau auf der Straße zu sehen meinte?
    Die Menge teilte sich kurz. Er sah, wie die Frau innehielt und zu den erhängten Männern an der zinnenbewehrten Mauer aufschaute. Als sie sich abwandte, erhaschte er einen Blick auf ihr Gesicht.
    Sie war es!
    »Ulrika!«, schrie er, aber da wurde sie bereits wieder von der Menge verschluckt.
    Er drängelte sich vorwärts, rief ihren Namen, wich Kisten und Hunden aus, versuchte, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Er sah, dass sie auf den Sammelplatz der Karawanen zuhielt, die Reisebündel geschultert, einen Arzneikasten an einem Riemen befestigt … Hatte sie vor, Babylon zu verlassen?
    Er eilte durch das Haupttor, rief immer wieder ihren Namen. Und dann entdeckte er sie, nur ein paar Schritte vor ihm in der Menge.
    »Ulrika!«
    Sie blieb stehen und schaute sich um. Grenzenloses Erstaunen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Ein Freudenschrei entrang sich ihm.
    Mit weit aufgerissenen Augen kam sie auf ihn zu. Sie schien sich nicht sicher zu sein, ob er es wirklich war oder nur eine Vision, dieser Mann in der dunkelbraunen Tunika, deren Saum wie auch die kurzen Ärmel mit goldfarbener Stickerei eingefasst und um die Taille mit einer Kordel gegürtet war. Er trug Sandalen, die bis unterhalb des Knies geschnürt waren, und über die breiten Schultern hatte er lässig einen sandfarbenen Umhang geworfen. Er wirkte größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, sein Körperbau kräftiger, so als ob die Tausenden von Meilen ihn noch muskulöser, noch eindrucksvoller gemacht hätten.
    Einen Moment lang standen sie sich einfach gegenüber. Schauten sich an.
    Dann, noch ehe sie etwas sagen konnte, zog er sie an sich und umarmte sie. »Ich habe dich gefunden, ich habe dich wieder …«, stammelte er.
    Ulrika presste das Gesicht an seine Brust, hörte das beruhigende Pochen seines Herzens. »Du bist es«, flüsterte sie. »Du bist es wirklich.«
    Ohne sie loszulassen, lockerte Sebastianus seine Umarmung, schaute mit Tränen in den Augen auf sie hinunter. Sein Gesicht war so nahe, dass sie eine kleine Narbe auf seinem Kinn ausmachte – eine neue Narbe, die von einer gegnerischen Waffe stammen mochte, von einem Dorn oder einer Katze. Auch zusätzliche Fältchen entdeckte Ulrika in seinen Augenwinkeln. Hatte er in China häufig gelacht oder zu viel Sonne abbekommen? Dafür war seine Stimme unverändert tief und weich, als er sagte: »Ich wusste, du würdest hier sein. Irgendwie wusste ich es.«
    Seine Hände auf ihren Armen zu spüren, der kräftige Druck, die Wärme, die durch ihre Palla drang und ihre Haut erhitzte, verschlug ihr den Atem. »Ich kam vor drei Jahren nach Babylon. Der Betreiber des Karawanensammelplatzes sagte, ich hätte dich um einen Monat verfehlt.«
    »Hast du meinen Brief erhalten?«
    Sie zog aus einem ihrer Bündel eine vergilbte kleine Schriftrolle, die nach wohl tausendmaligem Lesen verständlicherweise reichlich zerfleddert war. »Obwohl ich den Inhalt auswendig kannte«, sagte sie, »wollte ich immer wieder die Worte ansehen, die deine Hand auf Papyrus geschrieben hatte.«
    »Ulrika, ich habe immer an dich gedacht, weit weg in China, am Ende der Welt. Ich will dir so viel erzählen …«
    Ulrika nickte. »Ich weiß. Mir geht es genauso. Es ist so viel Zeit vergangen …«
    »Sag, was ist mit deinen Visionen, deiner Schicksalsgabe als Mittlerin? Bist du in Persien gewesen? Hast du die Kristallenen Teiche gefunden?«
    »Ja, ja, ja«, flüsterte sie. Ungeachtet der

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