Die Schicksalsgabe
zu sorgen, dass das Böse nicht über das Gute triumphiert. Dies erreichen wir, indem wir ein Leben führen, das von guten Gedanken, guten Worten und guten Taten geprägt ist. Dadurch wird das Chaos ferngehalten.«
Seine Ausführungen deckten sich mit denen von Sebastianus, als er Ulrika erläutert hatte, dass nur durch die Deutung der durch die Sterne übermittelten göttlichen Botschaften das Chaos gebannt werden könne.
»Ein beeindruckender Glaube, dem du anhängst«, meinte Ulrika und überprüfte den Puls an Veedas Handgelenk. Er ging normal.
»Es ist der
einzige
Glaube«, erwiderte er und verfiel wieder in Schweigen. War er denn gar nicht neugierig, fragte sich Ulrika, etwas über sie in Erfahrung zu bringen? Er wirkte ständig so angespannt, was ihrer Meinung nach nicht ausschließlich damit zu begründen war, dass er verfolgt wurde.
Sie fragte, wohin er und Veeda zu ziehen beabsichtigten, aber statt einer Antwort klaubte er die Fischgräten zusammen und verließ die Hütte.
Als sich die Nacht über den Wald senkte und die Kälte der Bergwelt in ihren Unterschlupf eindrang, überlegte Ulrika, ob sie einen Fluchtversuch wagen sollte. Wie weit würde sie angesichts der tödlichen Fallen und der Verfolger kommen? Und ob sie wieder zur Taverne zurückfinden würde, war mehr als zweifelhaft. Andererseits fühlte sie sich von dem jungen Mann nicht länger bedroht, außerdem bedurfte Veeda weiterhin ihrer Hilfe.
Das Mädchen bewegte sich unter ihren Decken, stöhnte auf. Als Ulrika an ihr Bett trat, schlug Veeda die Augen auf. Von schwarzen Wimpern eingerahmte schwarze Augen blickten sie an. »Wer bist du?«, fragte das Mädchen mit schwacher Stimme.
Ulrika schob einen Arm unter Veedas Schulter, half ihr, sich aufzurichten und gab ihr zu trinken. »Ich bin Ulrika. Hab keine Angst, Veeda, ich bin gekommen, um dir zu helfen. Wie fühlst du dich?«
»Ganz gut. Nur mein Bein tut weh.«
»Darum kümmern wir uns.«
Das Mädchen schaute sich suchend um. »Wo ist Iskander?«
»Draußen vor der Hütte, er passt auf.« Iskander hieß er also? »Ist er dein Onkel? Oder ein Vetter?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Er gehört einem anderen Stamm an.«
»Wo will er dich hinbringen?«
»Weit weg. Damit ich in Sicherheit bin.«
Ulrika wölbte die Brauen. »In Sicherheit? Wovor?«
»Vor bösen Männern, die uns töten wollen. Bitte«, eine kleine Hand griff nach der von Ulrika, »wo ist Iskander?«
Erst nachdem Ulrika die Stirn des jungen Mädchens – dieses bildhübschen Mädchens, dessen natürliche Schönheit durch das Fieber noch unterstrichen wurde – befühlt hatte, sagte sie: »Ich bin gleich wieder da.«
Sie lief hinaus, wo Iskander, seinen Speer in der Hand, auf einem Felsbrocken hockte. »Sie ist jetzt wach.«
Sofort eilte er an Veedas Bett, schaute sie prüfend an. »Geht es dir besser?«
»Ich bin aufgewacht, und du warst nicht da. Ich hatte Angst.«
Er strich ihr über das feuchte Haar. »Ich musste Hilfe holen. Ich hatte gehofft, du würdest bis zu meiner Rückkehr schlafen. Es war nicht meine Absicht, dich zu verschrecken.«
Verwundert beobachtete Ulrika, was sich da abspielte. Die beiden gingen zwar liebevoll miteinander um, aber eine gewisse Förmlichkeit deutete darauf hin, dass sie sich noch nicht lange kannten.
»Hat Ulrika mir das Leben gerettet?«, fragte Veeda.
Iskander bedachte Ulrika mit einem dankbaren Lächeln, das sein Gesicht verblüffend veränderte. »Ja«, sagte er. »Ulrika hat dir das Leben gerettet.«
Abends konnte sich Veeda bereits aufsetzen und etwas essen. Sie bestürmte Ulrika mit Fragen über die Welt jenseits der Berge. Als Ulrika dann im Laufe der Nacht immer mal wieder aufwachte, hörte sie Iskander erneut draußen auf und ab gehen.
Tags darauf erklärte er, dass sie weiter müssten, ohne auf Ulrikas wiederholte Fragen einzugehen, wohin er und das Mädchen wollten. Auch die Identität ihrer Verfolger gab er nicht preis. Ulrika schulterte ihre eigenen Bündel, Iskander packte sich Veeda auf den Rücken, die sich festhielt, indem sie ihre Arme um seinen Hals schlang. Ein merkwürdiges Gespann, diese beiden! Veedas Abhängigkeit von Iskander schien mit der eines Kindes von seinem Vater vergleichbar zu sein, während Iskander sich ihr gegenüber zwar einfühlsam zeigte, aber doch Abstand wahrte.
Abends schlugen sie ein Lager auf. Als Ulrika zum Mond hinaufsah, stellte sie fest, dass sie inzwischen noch weiter nach Osten abgedriftet waren, noch weiter
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