Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
prachtvollen Gewänder in Gelb und Grün zeugten davon, dass er einer der Söldner war, die auch in Friedenszeiten viel Geld für die Turmwache verdienten.
    »Wir wollten nur schauen«, beschwichtigte ihn Madelin.
    »Dann macht mal, dass ihr runterkommt«, befahl der Mann. »Wenn der Hardegg euch sieht, wenn er zurückkehrt, dann …«
    Madelin glaubte kaum, dass es den Reiterhauptmann stören würde, wenn ihm das Volk von oben herunter zujubeln würde.
    Plötzlich zog Scheck den Kopf aus der Schießscharte und rieb sich die Augen. »Ich glaub’, ich spinne.«
    Madelin wandte den Kopf. In der späten Abendsonne sah sie Reiter in schnellem Tempo auf ein Feld vor einem fernen Wäldchen zurückkehren. Sie kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. »Sind das die Kürassiere?«

    »Ich glaub schon«, sagte Scheck.
    »Weg da!« Der Söldner zog sie grob beiseite, um selbst hinausschauen zu können. Madelin wechselte einen Blick mit dem Spielmann. Sie wussten beide, was sie gesehen hatten. Mit glänzenden Rüstungen bewehrte Reiter, die sich der Vorstadt näherten - schnell näherten. Zu Hardegg und seine Kürassiere waren auf der Flucht, gefolgt von den Osmanen.
    »Eine Falle«, stieß Scheck aus. »Sie haben sich in eine verdammte Falle locken lassen!«
    »Verdammt!«, fluchte der Landsknecht und lief auf denWehrgang hinaus. Dort fing er an zu brüllen: »Alarm!« und »Stoßt die Singerin heraus! Der Feind kehrt zurück!«
    Die Stückmannschaften an dieser Kanone mussten sich schon bereitgehalten haben. Über Madelins Kopf polterte es, so dass der Staub durch die Ritzen der Holzbohlen rieselte. Gebannt sah sie mit Scheck hinaus und beobachtete, wie die Kürassiere nun ihrerseits in heilloser Flucht zurückkehrten. Das Reiterheer der Osmanen, das immer mehr Boden gutmachte, war mindestens doppelt so groß. Dann schlossen die ersten Osmanen zu den letzten Kürassieren auf.
    »Sie werden angegriffen!«, rief sie und kniff die Augen zusammen, um etwas Genaueres erkennen zu können.
    Erst das Donnern einer Kanone direkt über Madelin brach den Bann, der sie an der Schießscharte hielt. Der Turm bebte. Die junge Frau hielt sich beide Ohren zu, dann hing Pulverdampf vor der Schießscharte und stach ihr in Nase und Augen. »Lass uns schnell zu den anderen zurückkehren!«, rief sie. In ihren Ohren pfiff ein heller Ton. »Wenn die Kürassiere hereinkommen …«
    »… gibt es dort unten wieder Chaos«, vollendete Scheck ihren Gedanken. Sie stoben die Treppe hinunter.
    Auf halber Höhe eröffnete eine Scharte nach Westen ihr den
Blick über die Vorstadt. Sie sah, wie viele Menschen tatsächlich mit der letzten Welle in die Stadt geflohen waren, denn das Gedränge auf der Straße im unmittelbaren Bereich hinter dem Tor war groß. Die Kanonenschüsse und Alarmrufe hatten zwischen den weit über das Pflaster vorkragenden Fachwerkhäusern für Chaos gesorgt. Trotz der Erschöpfung liefen die Leute panisch durcheinander. Männer brachten sich in die Nebengassen in Sicherheit, Frauen griffen sich ihre Kinder, dazwischen rannten Hühner und Hunde aufgescheucht hin und her.
    Madelins Blick fiel auf ihre Karren. Sie standen noch genau dort, wo Scheck und sie sie zurückgelassen hatten.
    »Ihr seid ja immer noch hier!« Der Söldner war hinter ihnen die Treppe hinuntergekommen. Jetzt griff er Scheck am Stoff seines roten Wamses und beutelte ihn.
    »Sind ja schon weg!«, beteuerte der Spielmann und versuchte sich loszureißen.
    Madelin wollte sich gerade von der Scharte abwenden, da hielt sie inne. Hatte Franziskus nicht eben noch auf dem Bock gesessen? Jetzt war er nirgends mehr zu sehen. Ihr Blick suchte hektisch die Umgebung um den Karren herum ab. Dann sah sie ihn auf dem Boden. Ihr Freund wand sich mit verdrehten Gliedmaßen, als habe der Teufel von ihm Besitz ergriffen.
    »Franziskus!« Madelin sprang die letzten Stufen hinunter und hastete aus dem Turm. »Miro, die Reiter kommen!«, rief sie noch im Laufen, während sie sich durch die Menschen drängte.
    Der Bärenführer stand wie angewurzelt neben der Straße und starrte sie an. Menschen flohen in alle Richtungen, nur Franziskus lag mitten im Weg und war unfähig, sich in Sicherheit zu bringen. Gleich würde ein riesiger Trupp flüchtender Soldaten hereingaloppieren. Madelin stürzte an die Seite des hilflosen Freundes, duckte sich unter einem um sich schlagenden
Arm weg und fasste ihn dann unter den Schultern. Sie versuchte, ihn hochzustemmen, doch sie konnte nicht

Weitere Kostenlose Bücher