Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«
Moore mit dem Gesichte auf der Erde; aber die Felsen hatten sich gegenseitig gestützt und seine Brust war frei geblieben. Wäre nicht der beklagenswerte Zustand seiner Beine gewesen, so hätte er das schreckliche Abenteuer, ohne Schaden zu nehmen, überstanden.
Mit der größten Vorsicht zog man ihn heraus und legte ihn bei einer Fackel nieder. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen weiß und fest zusammengepreßt, sein Gesicht totenblaß. Der Kawdjer beugte sich über das Kind…
Lange, lange horchte er hin. Wenn noch ein Atemzug diese Brust hob, mußte er sehr leise sein…
»Er atmet noch,« sagte er endlich.
Zwei Männer hoben die leichte Last empor und langsam wurde der Abstieg angetreten. Ein unheimlicher Abstieg auf dieser unterirdischen Straße, deren dräuende Schatten die qualmende Fackel erst enthüllte. Der leblose Kopf schwankte hin und her und die zermalmten Beine, von denen das Blut in dicken Tropfen abfloß, waren ein entsetzlicher Anblick.
Als der traurige Zug die äußerste Höhle erreicht hatte, schreckte Dick aus seiner Bewegungslosigkeit empor und blickte auf… und sah das blutlose Gesicht und die toten Beine…
Seine Augen traten weit aus ihren Höhlen, alle Qualen der Todesangst standen darin geschrieben und mit einem gellenden Aufschrei stürzte er zu Boden.
Sechstes Kapitel.
Während achtzehn Monaten.
Die Morgenröte des 31. März erstrahlte am östlichen Himmel, ohne daß der durch die Vorfälle der letzten Nacht heftig bewegte Kawdjer ein Auge geschlossen hätte. Welch schreckliche Stunden lagen hinter ihm! Er hatte die menschliche Seele von ihrer schlechtesten und erhabensten Seite kennen gelernt, – Regungen ungezügelten Hasses und edelster Selbstlosigkeit beobachten können.
Ehe er sich mit den Schuldigen beschäftigte, hatte seine ganze Sorge den unglücklichen Opfern der Katastrophe gegolten. Zwei eiligst hergestellte Tragbahren hatten sie rasch ins Regierungsgebäude geschafft.
Als Sand völlig entkleidet auf seinem Lager lag, schien sein Zustand noch besorgniserregender. Es gab überhaupt keine Beine mehr – alles war Brei. Der Anblick dieses jungen, zermalmten Körpers war so herzbewegend, daß Hartlepool vom Schmerze übermannt wurde und dicke Tränen über seine von Wind und Wetter gebräunten Wangen herabkollerten.
Mit mütterlicher Zartheit verband der Kawdjer diese Fleischfetzen und Knochensplitter. Sand konnte sich nie, nie wieder seiner Beine bedienen und war verdammt, bis zum letzten Lebenstage als Krüppel seine Tage zu verbringen. Daran war nichts zu ändern – wenn man nur eine Amputation vermeiden konnte, die bei diesem zarten Organismus sehr gefährlich sein mußte.
Als der Verband angelegt war, goß der Kawdjer dem Kind einige stärkende Tropfen zwischen die farblosen Lippen; es stieß einige schwache Klagelaute aus und murmelte unverständliche Worte.
Dick, mit dem sich der Kawdjer in zweiter Linie beschäftigte, schien gleichfalls in Lebensgefahr. Er lag mit geschlossenen Augen da, sein Gesicht war ziegelrot und von nervösen Zuckungen verzerrt, der Atem ging kurz und pfeifend; er hatte die Zähne fest zusammengebissen und ein heftiges Fieber schüttelte ihn. Als der Kawdjer die verschiedenen Symptome wahrnahm, schüttelte er besorgt das Haupt. Wenn auch Dick im Besitze seiner gefunden Glieder war und weniger erschreckend aussah – sein Zustand war viel bedenklicher als bei Sand.
Als die beiden Kinder zu Bett gebracht waren, begab sich der Kawdjer trotz der vorgerückten Stunde zu Harry Rhodes und setzte ihn von den jüngsten Ereignissen in Kenntnis. Harry Rhodes war entsetzt von dem Gehörten und gleich bereit, mit den Seinigen zu helfen. Es wurde bestimmt, daß Frau Rhodes mit Clary, Tullia und Graziella abwechselnd an den Schmerzenslagern der beiden Kinder wachen sollten, die jungen Mädchen bei Tage, die Mütter während der Nacht. Frau Rhodes übernahm die erste Nachtwache und ging gleich mit dem Kawdjer fort.
Jetzt erst, nachdem das Notwendigste geschehen, suchte auch er einige Stunden der Ruhe die ihm aber versagt bleiben sollten. Sein Herz wurde von zu vielen Eindrücken bestürmt und ein schweres Problem stand vor seinem Gewissen auf.
Von den fünf Mördern waren drei vom Tode ereilt worden. Wenn der eine, Sirdey, auch verschwunden war und im Inneren der Insel herumirrte, mußte er unbedingt gefunden werden, und der fünfte, Kennedy, erwartete im wohlverwahrten Kerker sein Todesurteil. Nachdem dieser Anschlag den Tod dreier
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