Die schlafende Armee
damit zufrieden, zu nehmen, was sie fanden, sondern bauten es nach ihren Bedürfnissen um. Charity trat von der Leiter zurück, um Net Platz zu machen, die hinter ihr heraufgestiegen kam, und sah sich unschlüssig um. Was sie im ersten Moment für einen Keller gehalten hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als das Parkdeck einer Tiefgarage. Ein Teil der Betondecke war eingebrochen, so daß graues Tageslicht hereinfiel, und zwischen den Trümmern und dem gesammelten Unrat von fünfeinhalb Jahrzehnten erhoben sich die rostigen Wracks von Wagen, die am Tag X hier abgestellt und niemals wieder abgeholt worden waren. Erneut fragte sie sich, was hier wohl geschehen sein mochte. Die Stadt war vollkommen verwüstet; so gründlich, als hätten die Angreifer Haus für Haus, Straßenzug für Straßenzug überrannt und niedergewalzt. Dabei hatte Charity mit eigenen Augen gesehen, wie sie die Bevölkerung einer ganzen Stadt ausgelöscht hatten, ohne daß auch nur eine Fensterscheibe beschädigt worden war. Hartmann gab einem der beiden Soldaten ein Zeichen, ihm zu helfen, und gemeinsam versuchten sie, einen zentnerschweren Betonbrocken über den Eingang des Schachtes zu schieben. Einige Sekunden lang mühten sie sich vergeblich ab, dann trat Kyle wortlos zwischen sie, schob die beiden Männer sanft, aber sehr bestimmt zur Seite und wälzte das Trümmerstück ohne sichtliche Anstrengung auf das Loch im Betonboden. Hartmann riß erstaunt die Augen auf, aber im Blick Lehmanns schienen plötzlich kleine Flammen zu lodern. Charity nahm sich vor, den jungen Soldaten im Auge zu behalten. Die Antipathie, die er Kyle entgegenbrachte, war ihr schon zuvor aufgefallen. Anders als Felss hatte es ihm Freude bereitet, sie als Gefangene zu behandeln; sie und vor allem Kyle. Sie verscheuchte den Gedanken und warf einen Blick auf den Geigerzähler. Die Strahlung war hoch, aber nicht gefährlich. Trotzdem war es wahrscheinlich nicht ratsam, sich länger als unbedingt nötig hier aufzuhalten. Sie warf Hartmann einen fragenden Blick zu, und der Leutnant deutete auf eines der rostigen Autowracks, die überall in der Tiefgarage herumstanden. Erst als sie sich ihm näherten, sah Charity, daß es kein Autowrack war. Was auf den ersten Blick wie ein verbeulter, von Rost und Verfall zerfressener Kleinbus aussah, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein gepanzertes Fahrzeug, das Platz für zehn oder zwölf Personen bieten mußte. Hartmann löste eine kleine Fernbedienung von seinem Gürtel, und an der Seite des vermeintlichen VW-Transporters öffnete sich eine Tür aus Panzerstahl. Dahinter kam ein hell erleuchteter, beinahe klinisch sauberer Innenraum zum Vorschein. Die Rebellen von Köln brauchten sich offensichtlich über einen Mangel an technischem Equipment nicht zu beklagen. Sie bestiegen den Wagen, und Kyle bettete den verletzten Techniker behutsam über die hinteren vier Sitze. Der Mann regte sich nicht, und für einen Moment glaubte Charity, er wäre nicht mehr am Leben. Aber Kyle beantwortete ihren erschrokkenen Blick mit einem knappen, beruhigenden Nicken, und so setzte sie sich auf die Bank neben Hartmann und wartete, bis Felss hinter das Steuer geklettert war und den Motor startete. Der Wagen setzte sich beinahe lautlos in Bewegung. Die Scheiben waren zerkratzt und blind vor Schmutz, aber vor Felss glomm eine ganze Reihe kleiner Monitore auf, auf denen er seine Umgebung beobachten konnte. Nicht alle davon zeigten ihre unmittelbare Umgebung. Das Fahrzeug schien über verschiedene Ortungs- und Radarsysteme zu verfügen. Hartmann bemerkte ihren forschenden Blick und sagte mit hörbarem Stolz: »Ein umgebauter Panzerspähwagen, Captain Laird. Lassen Sie sich nicht von seinem Äußeren täuschen. Felss hat fast zwei Jahre lang daran herumgebastelt, um ihn so hinzukriegen.« »Dazu hätte Skudder keine zehn Minuten gebraucht«, sagte Gurk mit einer spöttischen Geste auf das verbeulte Dach. Hartmann ignorierte ihn, aber über Felss' Gesicht huschte ein flüchtiges Lächeln. »Es hat sich gelohnt«, antwortete Charity. Der junge Mann hinter dem Steuer lächelte noch ein wenig geschmeichelter, und Hartmann fuhr fort: »Das Ding ist vollkommen abgeschirmt -weder mit Radar oder Infrarot oder sonst einer bekannten Ortungsmethode auszumachen.« »Sie sagen es«, sagte Kyle. »Mit keiner Ihnen bekannten Methode.« Hartmann ignorierte auch ihn und fuhr fort: »Wenn sie nicht zufällig sehen, daß wir uns bewegen, dann können sie mit
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