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Die schlafende Armee

Die schlafende Armee

Titel: Die schlafende Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schritte und blieb erst stehen, als er fast bis zu den Knöcheln im Wasser des Flusses stand. Mit einer ruckhaften Bewegung zog er eine Zigarettenschachtel aus der Tasche, ließ sein Feuerzeug aufschnappen und zündete sich eine Zigarette an. »Geben Sie mir auch eine?« fragte Charity, als er die Packung wieder einstecken wollte. Hartmann zögerte, hielt ihr aber dann die fast leere Schachtel hin und gab ihr Feuer. »Ich wußte gar nicht, daß Sie rauchen«, sagte er, als sie den ersten Zug genommen hatte und sich an seine Seite stellte. Charity unterdrückte ein Husten und antwortete: »Es ist gute fünfzig Jahre her, daß ich damit aufgehört habe.« Hartmann lächelte flüchtig. »Manche Laster wird man nie los.« Eine Zeitlang standen sie einfach nebeneinander da, blickten auf den Fluß hinaus und rauchten. Charity spürte, wie die Spannung allmählich aus Hartmann wich. Sie konnte durchaus verstehen, daß er die Beherrschung verloren hatte. Auch sie selbst war für Augenblicke vor Entsetzen wie gelähmt gewesen. »Es war schlimm, nicht?« fragte sie leise. Hartmann sog an seiner Zigarette, blies den Rauch durch die Nase aus und nickte, ohne sie anzusehen. »Ja. Es ... tut mir leid.« »Was?« »Daß ich mich so habe gehenlassen«, antwortete Hartmann. »Das hätte nicht geschehen dürfen.« »Wir sind alle nur Menschen.« Charity versuchte zu lächeln, aber sie spürte selbst, wie wenig überzeugend es aussah. »Ich war selbst nahe daran, hysterisch loszubrüllen«, gestand sie schließlich. Hartmann blickte sie zweifelnd an. »Es tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Aber es war einfach zuviel. Ich ... ich dachte, sie würden sie umbringen.« »Wen?« Hartmann machte eine Kopfbewegung auf die Kathedrale. »Unsere Männer, die sie verschleppt haben.« »Dann hatte Felss recht«, sagte Charity. »Er hat den Mann wirklich erkannt?« Hartmann nickte. »Ja. Und ich glaube, ich habe noch einen oder zwei andere erkannt. Es war einfach zuviel. Ich ... dachte, sie wären tot.« »Finden Sie es schlimmer, daß sie leben?« Hartmann nickte. »Sehen Sie, Captain Laird, Sie sind ein Soldat wie ich. Aber es gibt einen Unterschied.« »So?« fragte Charity. »Welchen?« »Ich bin vielleicht nur ein einfacher Leutnant«, antwortete Hartmann. »Ich habe nicht gelernt, ein Raumschiff zu fliegen. Ich habe vielleicht nicht einmal Ahnung von moderner Computerstrategie, aber ich habe kämpfen gelernt, seit dieser ganze Wahnsinn begonnen hat. Ich habe Männer sterben sehen und selbst welche getötet. Der Tod ist schlimm, aber er gehört nun einmal zum Leben eines Soldaten. Man akzeptiert ihn, oder man ist kein Soldat.« Er deutete abermals auf den Dom. »Ich ertrage den Gedanken, eines Tages sterben zu müssen. Aber das da drinnen ist ... grauenhaft. Diese Männer dort waren einmal meine Kameraden. Jetzt sind sie keine Menschen mehr. Sie sind...« Er sprach nicht weiter. »Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Charity leise. »Aber ich bin nicht sicher, daß sie recht haben.« »So?« Hartmann lachte humorlos und sehr bitter. »Nein«, antwortete Charity. »Ich glaube, daß ... hier irgend etwas Gewaltiges vorgeht.« Sie spürte selbst, wie falsch ihre Worte klangen. Aber sie fand keine anderen. Es war ihr unmöglich, wirklich auszudrücken, was sie fühlte. »Sie glauben all diesen Unsinn wirklich, den Ihnen Gyell erzählt hat, nicht wahr?« fragte Hartmann. »All dieses Zeug von Sehenden und Blinden.« »Sie nicht?« gab Charity zurück. Hartmann wollte antworten, aber sie hob rasch die Hand und fuhr fort. »Seien Sie ehrlich, Hartmann - im Grunde haben Sie längst begriffen, daß Sie sich geirrt haben. Diese Menschen sind nicht Ihre Feinde.« »Sie sind keine Menschen mehr«, widersprach Hartmann erregt. »Das kann sein«, gestand Charity. »Aber sie sind auch nicht das, wofür Sie sie halten.« »Und was sind sie dann?« fragte Hartmann. Charity zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht«, gestand sie. »Vielleicht eine neue Lebensform, etwas, wofür wir noch keine Worte haben.« Hartmanns Lippen wurden zu einem schmalen, blutleeren Strich. Plötzlich loderte der Zorn in seinen Augen wieder auf. Aber ehe er antworten konnte, stieß Lehmann plötzlich einen überraschten Ruf aus und deutete mit dem Arm über den Fluß. Charitys Blick folgte der Geste, und einen Moment später sah auch sie, was den jungen Soldaten so erschreckt hatte: Von der anderen Seite des Flusses raste ein silberner Funke

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