Die schlafende Armee
Eingang zur Kathedrale auf. Charitys Hertz machte einen schmerzhaften Sprung, als sie sah, daß die Ameisen die oberste Stufe der Treppe erreicht hatten. Auch Net fuhr erschrocken zusammen. Mit einer hastigen Bewegung prallte sie zurück, zog ihre Waffe - und erstarrte zur Reglosigkeit, als die Ameisen ungerührt kaum eine Armeslänge an ihr vorbeimarschierten! Die Insektenkrieger mußten Net zweifelsfrei erkannt haben, denn in ihrem gefleckten Tarnanzug und mit der schweren Laserwaffe im Arm fiel sie inmitten der zerlumpten Jared so sehr auf, wie es nur möglich war. Aber sie schienen sich überhaupt nicht für sie zu interessieren. Nicht eines der riesigen Geschöpfe wandte auch nur den Kopf, um sie anzusehen. »Was ... geht da vor?« flüsterte Hartmann ungläubig. Ich wollte, ich wüßte es, dachte Charity. Laut, aber mit stockender Stimme sagte sie: »Ich habe Ihnen doch gesagt, Hartmann, sie sind nicht unseretwegen hier.« »Aber weswegen dann?« murmelte Hartmann. Ein Geräusch in der Nähe ließ Charity aufsehen. Kyle kam auf Händen und Knien durch das Gebüsch zu ihnen herangekrochen. Ein Ausdruck von Schrecken glitt über sein Gesicht, als er das Gewehr in Hartmanns Händen sah, aber Charity schüttelte rasch und beruhigend den Kopf. »Die Waffen weg!« flüsterte er. »Sie sind wegen der Königin hier, nicht unseretwegen.« Hartmann sah den Megamann durchdringend an, senkte das Gewehr aber keinen Millimeter. »Weshalb?« Kyle deutete mit einer Handbewegung auf den Dom. »Sie wollen zum Nest. Wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, daß wir hier sind. Aber wenn wir einen Fehler machen, dann werden sie es sehr schnell herausbekommen.« »Net ist dort drüben«, sagte Charity, ehe Hartmann Gelegenheit zur Antwort fand. »Kannst du sie holen, ohne daß sie uns bemerken?« Kyle nickte. Fast lautlos erhob er sich, bog die Zweige vor ihrem Versteck auseinander und richtete sich auf. »Was haben Sie vor?« fragte Hartmann. Kyle antwortete nicht, sondern richtete sich weiter auf; er sah sich unauffällig nach allen Seiten um und begann dann langsam auf den gelandeten Gleiter zu zu gehen. Eine gespenstische Veränderung ging mit ihm vor: Sein Haar färbte sich heller, verlor seine glänzende, schwarze Farbe und nahm einen stumpfgrauen, schmutzigen Ton an. Gleichzeitig schien es länger zu werden. Eine zuckende Wellenbewegung lief über seinen schwarzen Anzug. Das Material zog sich zusammen, wurde heller und poröser - und war plötzlich keine hautenge, schwarze Montur mehr, sondern ein zerfetztes Etwas, das sich in nichts von den Lumpen unterschied, die die Jared trugen. Auch Kyles Art zu gehen veränderte sich. Er bewegte sich plötzlich schlurfend und mühsam. Hartmanns Augen quollen vor Unglaube fast aus den Höhlen, als er sah, was mit Kyle geschah. »Oh, mein Gott!« flüsterte er. »Wie ... wie hat er das gemacht?« »Das erkläre ich Ihnen später«, antwortete Charity ausweichend. »Jetzt seien Sie bitte still. Er wird versuchen, Net zu warnen und hierher zu bringen.« »Aber das ... das ist doch nicht möglich«, stammelte Hartmann. Er schien ihre Worte gar nicht gehört zu haben. »Das ist Zauberei!« »Nicht ganz«, sagte Charity. Gebannt und mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie sich Kyle der Flugscheibe näherte und in weniger als fünf Metern Abstand daran vorbeiging. Die Blicke einer der beiden Ameisen, die neben dem Gleiter Aufstellung genommen hatten, folgten ihm, aber Kyles Verkleidung täuschte auch diese Geschöpfe. Unbehelligt überquerte er den großen Platz, ging die Treppe zur Kathedrale hinauf und trat auf Net zu. Charity konnte nicht genau erkennen, ob er mit ihr redete oder ihr auf andere Weise zu verstehen gab, was er von ihr wollte, aber nach einer Weile drehten sich beide wieder herum und kamen mit langsamen, fast gemächlichen Schritten die Treppe herab. Leutnant Hartmann starrte sie durchdringend an. »Ich glaube, wenn das alles hier vorbei ist«, sagte er, »sind Sie mir eine Menge Erklärungen schuldig, Captain Laird.« »Ja«, entgegnete Charity kalt. »Wenn das alles vorbei ist.« Ohne weiter auf Hartmanns zornige Blicke zu achten, verfolgte sie gebannt, wie Net und Kyle sich ihrem Versteck näherten. Wie von dem gelandeten Gleiter nahmen die Jared auch von ihnen keinerlei Notiz, und auch diesmal passierten Kyle und die Wasteländerin die Flugscheibe in wenigen Metern Abstand, ohne daß die beiden Ameisen ihnen mehr als einen flüchtigen Blick zuwarfen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher