Die Schmerzmacherin.
Taschentuch aus der Hosentasche. Er hatte nur Hemd und Hose an. Sie hatte seinen Körper spüren können. Spüren müssen. Sie wünschte sich eine dicke Jacke rund um sich. Und eine Mütze. Sie wünschte sich, dick angezogen zu sein und auf einer Wiese und weit und breit niemand. Aber dann hatte sie Angst, dass aus dem Wald rund um die Wiese jemand heraustreten könnte und auf sie zu, und dann wünschte sie sich in ein Zimmer. In ein Zimmer mit einer Tür, die abgesperrt werden konnte. Aber dann wieder hätte man sie einsperren können, und sie wusste nicht mehr, wohin sie sich wünschen konnte. Sie spürte, dass sie nass vor Schweiß war. Der Schweiß rann innen unter der Unterwäsche den Rücken und auf der Seite hinunter. Unter dem Hosenbund. Kalt. Nass. Überhaupt kalt. Eiskalt. Frierend. Schwitzend und frierend. Sie stand in der Ecke und konnte sich nicht bewegen.
Der Mann sagte, sie solle sich wieder setzen. Man müsse das vernünftiger machen. Sie konnte nicht weg. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie schaute vor sich auf den Boden. Die Angst war nicht mehr da. Ruhig. Leer. Innen. Aber keine Bewegung möglich. Sie musste lächeln. Dann musste sie eben hierbleiben. Hier in dieser Ecke. Für immer in dieser Ecke. Und war sie nicht schon immer in so einer Ecke gewesen. War ihr Leben nicht immer schon auf so eine Ecke hinausgelaufen. Es war sinnvoll. Eigentlich war das sinnvoll, dass es so endete. Eine Weinerlichkeit stieg auf. Selbstmitleid. Sie ließ sich vom Selbstmitleid umgeben. Hüllte sich mit dem Selbstmitleid ein. Warm und freundlich. Sie war arm. Sie war verfolgt. Niemand wollte sie. Niemand liebte sie. Niemand brauchte sie. Warum sagte sie diesem Mann nicht, was er wissen wollte, und legte sich in ihr Bett. Legte sich in ihr Bett oben. In der Mansarde. In Ginos ehemaligem Zimmer. Sie hatte ja jetzt Ginos Zimmer bekommen. Warum ging sie nicht dahin schlafen. Der Mann da. Der sollte sie gernhaben. Der konnte ihr nichts verbieten.
Sie riss sich aus der Ecke heraus. Ihre Beine steif. Der Kopf glühend. Alles ungenau. Sie ging unsicher. Sie solle sich setzen, sagte der Mann. Sie hätten noch gar nicht begonnen. Sie ging in Richtung Tür. Der Mann blieb sitzen. Fixierte sie. Sie blieb stehen. Sie musste stehen bleiben. Sein Blick. Sie wollte den nächsten Schritt machen. Sie konnte das Bein nicht heben. Sie musste das Bein vorschieben. Dann. Sie schüttelte den Kopf. Ob sie etwas sagen wolle, fragte der Mann. Sie sei müde, sagte sie. Der Mann hielt seinen Kopf schief und schaute sie an. »Na und.« Was bedeute das schon. Sie hätte es ja in der Hand gehabt, das alles kurz und schmerzlos zu machen. Sie habe diesen Weg nicht beschritten. Diese Gelegenheit nicht ergriffen. Compliance. Das habe sie nicht gezeigt.
Sie schaffte den Schritt. Dann noch einen. Sie stand an die Tür gelehnt. Nein. Das stimme nicht, sagte sie. Das könne er nicht sagen. »Ich habe mich immerhin selbst angeboten.« Der Mann schnaubte verächtlich. »Ein Trick. Aber so etwas ist kein Problem. So etwas ist überhaupt kein Problem.« Er starrte ihr in die Augen. »Im Übrigen haben wir dafür die Hunde.« Er schaute sie unverwandt an. Sie starrte zurück und musste zuschauen, wie er sah, dass sie verstand. Sie brauchte lange. Sie schämte sich dafür. Sie schämte sich dafür, wie lange sie gebraucht hatte, zu verstehen, was er damit gemeint hatte. Die Hunde. Sie stand da wie das kleine Mädchen, das nicht verstand, was die Erwachsenen machten, und sich dann genieren musste. Dafür, dass sie nichts gewusst hatte davon, was die Erwachsenen so machten. Und dann wieder dafür, was die Erwachsenen da so machten, von dem sie vorher nichts begriffen hatte. Sie konnte zusehen, wie er sie dabei beobachtete. Sie fühlte sich nackt. Entblößt. Und er musterte sie.
Die Hunde. Es war immer nur der eine zu sehen gewesen. Der vom Heinz. Der in die Sitzungen mitgenommen wurde. Aber es mussten mehrere Hunde gewesen sein. Ihr Bellen war zu hören gewesen. Hinter einer der Baracken, die den Parkplatz abgegrenzt hatte, war Hundegebell zu hören gewesen. Sie hatte sich nichts gedacht. Wie immer. Sie hatte sich nie etwas gedacht. Und schon gar nicht so etwas. Sie hatte Pornobilder davon gesehen. Hunde. Sie musste erbrechen. Es reckte sie. Sie griff nach der Klinke um Halt. Und die Klinke ging auf. Sie stolperte auf den Gang hinaus.
Der Kellergang taghell erleuchtet. Eine Tür weit unten ging auf. Heinz und Cindy und einer der Psychologen kamen auf den Gang
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