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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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ruhig. Gelassen. Er würde auf so etwas schon gar nicht reagieren. Und dann hatte sie Todesangst.
    Die Angst vertrieb sie aus ihrem Körper. Sie musste sich sehen. Irgendwie von oben musste sie sich selber sehen. Wie sie schlaff dalag. Dahing. Wie ihr die Sinne schwanden. Wie sie schluchzend gegen die Atemnot anschluckte und wie es klar war, dass sie jetzt starb. Sie konnte nichts sagen. Nichts schreien. Keine Bewegung. Sie war gerade in der Lage, dieses Schlucken. Sie hätte nichts flüstern können. Sie wollte um Hilfe rufen. Um Hilfe flehen. Aber sie musste schlucken. Ihr Hals vor Schlucken verschlossen. Zugeschnürt. Und ein Elend. Im Bauch. Im Magen. Ein tobendes Elend. Der Magen krampfte und stieß Säure in die Kehle hinauf. Die Säure schnitt in die trockenen Häute. Schneidende Ränder in der Kehle. Aber dann auch schon weiter weg. Es rutschte ja alles weg. Sie sah sich nach sich selber greifen. Sah sich davongleiten. Versuchte, sich aufzuhalten. Sie müsse nur sagen, woran sie sich erinnern könne. Der Mann klang beruhigend. Sie solle das sagen, und sie käme sofort an die frische Luft. »Ins Freie.« sagte der Mann. Sie wusste nicht mehr, wo er stand. Seine Stimme. Von irgendwo im Raum. Sie wollte es sagen. Sie wollte sagen, dass sie sich nicht erinnern konnte. Sie wollte sagen, dass sie aber betrunken gewesen war. Dass sie offenkundig so betrunken gewesen war, dass sie mit irgendjemandem gefickt hatte. Oder jemand sie. Und dass sie das alles nur wusste, weil sie eine Fehlgeburt erlitten hatte, und dass sie gestehen musste, dass sie keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatte seit dem August des vergangenen Jahres. Und dass die Daten. Dass die Daten diesen Verdacht bestätigten. Sie sagte das alles im Kopf. Sie formulierte alle diese Sätze weit oben im Kopf. In einem Rest von ihrem Kopf. Ganz oben unter der Schädeldecke vorne. Fiebrig. Fiebrig nebelig. Aber der Nebel flirrend und in schwarzen Pünktchen flimmernd. Sie spürte wieder Tränen auf der Wange. Die Wolle des Pullovers feucht. Sie fand sich atmen. Während sie die Wahrheit gedacht hatte, hatte sich der Panzer der Brust gehoben. Sie atmete flach. Sie zwang sich, die Luft tief in den Bauch zu holen. Sie schnappte dann doch nach Luft. Sie schämte sich. Die Scham erfüllte sie. Aber die Scham ließ dem Atmen Platz. Die Kehle war feuchter. Sie musste sich räuspern. Schnappte nach Luft. Räusperte sich. Der Kopf wurde wieder ganz. Sie schloss einen Augenblick die Augen. Es war schmerzhaft. Ihr wurde schwindelig, so fühlte der Kopf sich hin und her geworfen. Als schlüge das Blut den Kopf von innen von einer Seite zur anderen.
    Sie musste den Kopf heben. Im Liegen würde das Elend wieder ansteigen. Sie lehnte sich zurück. Der Mann ging um den Tisch und schaute sie an. Er musterte sie. Sie konnte sehen, wie er sie einschätzte. Sie konnte wieder Luft bekommen. Sie saß ihm gegenüber. Sie schaute seinem abschätzigen Mustern zu. Wut stieg in ihr auf. Sie sah, wie der Mann das sehen konnte. Sie hasste sich dafür. Sie hasste ihr Gesicht, das kein Geheimnis behalten konnte. Der Mann begann zu grinsen. Sie hasste diesen Mann und sich. Rasende Wut. Jetzt schlüge sie ihn gerne, sagte er. Das könne er sehen.
    Sie drehte sich weg und beugte sich vor. Sie stützte ihre Arme auf ihre Knie und legte den Kopf in die Hände. Sie konnte wieder alles von sich fühlen. Der Kopf wusste von den Händen. Die Hände vom Kopf. Die Ellbogen bohrten sich in die Oberschenkel, und sie konnte die Ellbogen in den Oberschenkeln spüren. Die Gedanken. Denken. Es ging nur schleppend. Sie wusste, sie musste reagieren. Sie musste auf dieses Grinsen reagieren. Sie wusste, es war etwas anderes wichtiger. Aber sie konnte das nicht finden. Ein Vorhang von diesem Flimmern ließ sich nicht durchdringen. Der Druck im Bauch begann wieder. Sie richtete sich auf. Legte die Hand auf den Bauch. Der Körper. Sie musste den Körper in den Griff bekommen. Der Körper durfte ihr nicht in den Rücken fallen. Sie musste diesem Bauch die Angst verbieten. Sie durfte Angst nur im Kopf haben. Aber das Flimmern im Kopf ließ nur das Denken eines solchen Gedankens zu. Die Angst begann sich wieder im Bauch zu sammeln.
    Sie wollte gerade etwas sagen. Sie dachte, es wäre gut, irgendetwas zu sagen. Irgendetwas, was weit weg war von dem Geständnis, dass sie nichts wusste. Dass sie sich nicht erinnern konnte. Der Mann griff wieder über den Tisch. Er zog sie an den Haaren in die Höhe. Er zwang sie,

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