Unter dem Vampirmond 02 - Verfuehrung
Kapitel 1
Die warme Sommerlu ƒ t strich durch die Fenster und erfüllte das Auto mit dem würzigen Duft des Parks und dem dröhnenden Lärm der Autobahn. Nervös auf der Unterlippe knabbernd starrte ich nach draußen, wo Kinder auf einer Wiese spielten. Obwohl Milo nur ein paar Runden auf dem Parkplatz drehen wollte, malte ich mir innerlich schon aus, wie er die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und die Kleinen über den Haufen fuhr.
Mein jüngerer Bruder Milo war gerade sechzehn geworden und redete von nichts anderem mehr als dem Führerschein. Diese neue Begeisterung fürs Autofahren schrieb ich ausschließlich Jacks Einfluss zu, der mit seinen Luxuskarossen gern zu schnell durch die Stadt raste. Als mein Bruder den Lamborghini von Jacks Familie zum ersten Mal zu Gesicht bekam, war es um ihn geschehen. Der italienische Sportwagen verfehlte seine Wirkung nicht – nicht einmal bei einem schwulen Teenager.
Da ich, obwohl ich eineinhalb Jahre älter war als Milo, meinen Führerschein immer noch nicht hatte, erhielt er seine Fahrstunden von Jack. Und das machte mir Angst.
Mit einer riesenhaften Sonnenbrille auf der Nase saß Jack auf dem Beifahrersitz und gab sich äußerst wortkarg. » Damit fährt er « , sagte er und deutete auf das Gaspedal. » Also tritt drauf, und los geht’s. « Das war alles.
Milo, zum Glück eher von der vorsichtigen Sorte, bat Jack um weitere Ausführungen, doch die Antworten blieben vage. Wahrscheinlich lag es an Jacks Müdigkeit. Es war helllichter Nachmittag, und die Augustsonne strahlte auf uns herab – eigentlich ideale Bedingungen für eine Fahrstunde, doch Jack machte das Sonnenlicht einfach nur groggy. Er kam aus dem Gähnen gar nicht mehr heraus.
Jack war nicht gerade das, was man als normal bezeichnen würde. Ich mochte ihn wirklich, mehr sogar, als mir guttat. Obwohl er alles andere als ein klassischer Schönling war, war er auf seine ganz persönliche Art attraktiv, hatte leuchtende blaue Augen, ständig verwuscheltes sandfarbenes Haar und makellos gebräunte Haut.
Dass Jack und seine Familie in jeder Hinsicht kompliziert waren, hatte einen guten Grund: Sie waren Vampire.
Ich hätte sie natürlich nie meinen Bruder treffen lassen, wenn sie gefährlich gewesen wären. Zugegeben, genau genommen waren sie gefährlich, da sie uns mit Leichtigkeit hätten umbringen können, wenn sie es gewollt hätten. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie es nicht wollten. Das menschliche Blut, von dem sie lebten, bezogen sie aus Blutbanken und von Spendern.
Vampire müssen einen Menschen nicht leer saugen, bis er stirbt, obwohl sie das können und manchmal auch tun. Jack hatte noch niemanden umgebracht, aber er war ja auch noch ein relativ junger Vampir. Bei seiner Verwandlung war er vierundzwanzig gewesen, und das lag erst sechzehn Jahre zurück. Zum Vergleich: Sein Bruder Ezra hatte über dreihundert Jahre auf dem Buckel, Peter fast zweihundert.
Brüder waren sie streng genommen keine. Bei Vampiren läuft das anders ab. Wenn ein Mensch verwandelt wird, verbindet sich sein menschliches Blut mit dem des Vampirs. Ezra hatte Peter zum Vampir gemacht, und Peter dann Jack. Dadurch waren sie auf ungewöhnliche Art miteinander verbunden. Peter, oder besser gesagt sein Blut, fühlte sich zudem zu mir hingezogen. Aufgrund dieser Anziehung mochten mich auch Jack und Ezra – Jack viel mehr, als gut für ihn war.
Jack hätte uns nie absichtlich in Gefahr gebracht, doch er hatte kein Gespür für die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Wenn wir einen Unfall gebaut hätten, so hätte er zudem erst mich und dann Milo gerettet, und auch das beruhigte mich nicht gerade.
» Bist du sicher, dass das heute der richtige Tag zum Üben ist? « , fragte ich Milo. Im Rückspiegel sah ich, wie er die Augen verdrehte.
» Wir können dich auch nach Hause bringen « , fauchte er mich an.
Trotz seines Alters hatte Milo noch ein richtiges Kindergesicht mit Pausbacken und runden braunen Augen. Wenn er mir drohte, wirkte er mehr wie ein trotziges Kleinkind als wie ein Teenager.
» Alice, das wird schon « , versprach Jack und unterdrückte ein Gähnen.
» Außerdem bin ich der Vernünftige von uns beiden « , rief mir Milo in Erinnerung. » Hauptsache, ich komme klar. «
Geschlagene zwanzig Minuten standen wir schon auf dem Parkplatz. Milo hatte Jack eine Erklärung für so gut wie jeden Schalter und Hebel im Auto abgerungen. Jack hatte überproportional viel Zeit auf die Erläuterung des Radios
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