Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
war diesmal der Schlüssel?
    Das Gesicht des Pförtners verzog sich zu einem törichten gezwungenen Lächeln. Er verbeugte sich und scharrte mit den Füßen. «Möchte unser neuer Chef mir vielleicht in den Empfangsraum folgen?»
    Er war bereit, mit der Strömung zu schwimmen. So verbrachte er sein Leben. Ding Gou'er folgte dem Mann ins Torhaus.
    Es war ein großer, geräumiger Raum, in dem unter einer schwarzen Bettdecke ein Bett stand. Daneben ein paar Thermosflaschen. Ein Kohlehaufen, die einzelnen Stücke so groß wie Hundeköpfe. An der Wand eine Neujahrsrolle: Ein rosiger, nackter, lachender Knabe hielt den Pfirsich des langen Lebens in den Händen. Sein süßer kleiner Pimmel stand wie die goldglänzende Puppe einer Seidenraupe in die Luft. Das Bild war unglaublich lebensecht. Ding Gou'ers Herzschlag setzte einen Moment aus, seine Hämorrhoiden brannten wie Feuer.
    Im Ofen loderte das Feuer. Im Zimmer war es unerträglich heiß und stickig. Die untere Hälfte des Ofenrohrs und die Ofenplatte glühten rot vor Hitze. Heiße Luft wirbelte durch den Raum und ließ die Spinnweben in den Ecken tanzen. Plötzlich juckte es ihn am ganzen Körper. Seine Nase tat entsetzlich weh.
    Der Pförtner beobachtete seine Miene mit serviler Aufmerksamkeit.
    «Ist Ihnen kalt, Herr Direktor?»
    «Eiskalt», antwortete er wütend.
    «Kein Problem, kein Problem, ich muss nur ein bisschen Kohle nachlegen …» Ängstlich murmelnd zog der Pförtner ein scharfes Beil mit einem dattelroten Stiel unter dem Bett hervor. Die Hand des Ermittlers sprang unwillkürlich an seine Hüfte, als er dem Mann zusah, wie er zum Kohleneimer hinüberwankte, sich niederkauerte und ein kopfkissengroßes Stück glänzend schwarze Kohle herausnahm. Er hielt die Kohle mit einer Hand fest, mit der anderen hob er das Beil über den Kopf, und knack – splitterte die Kohle in zwei annähernd gleich große Stücke, die glänzten wie Quecksilber. Knack, knack, knack, knack, knack. Die Stücke wurden immer kleiner. Der Pförtner schichtete sie zu einem kleinen Haufen auf. Er öffnete die Ofentür, und weiß lodernde Flammen zischten ihm entgegen. Der Ermittler war von Kopf bis Fuß schweißgebadet, aber der Pförtner warf immer mehr Kohle nach. Dabei entschuldigte er sich ständig: «Gleich wird es warm. Unsere Kohle hier ist zu weich, brennt zu schnell, ständig muss man nachlegen.»
    Ding Gou'er knöpfte den Hemdkragen auf und wischte sich mit der Mütze den Schweiß von der Stirn. «Warum ist der Ofen im September an?»
    «Es ist kalt, Herr Direktor, kalt …» Der Pförtner zitterte vor Kälte. «Kalt … massenweise Kohle … ein ganzer Berg von Kohle …»
    Der Pförtner hatte ein eingetrocknetes Gesicht wie ein verbrannter Hefekloß. Ding Gou'er beschloss, dass er dem Mann genug Angst eingejagt hatte, und gestand, dass er nicht der neue Direktor war und dass der Mann das Zimmer so viel heizen konnte, wie er wollte, weil Ding Gou' er anderes zu tun hatte. Der Knabe an der Wand lachte ihn unglaublich lebensecht an. Er kniff die Augen zusammen, um den süßen kleinen Jungen besser zu sehen. Der Pförtner griff zum Beil und sagte: «Du hast dich als Bergwerksdirektor ausgegeben und mich mit der Waffe in der Hand angegriffen. Komm mit. Ich bringe dich zur Sicherheitsabteilung.»
    Lächelnd antwortete Ding Gou'er: «Was hättest du getan, wenn ich wirklich der neue Direktor gewesen wäre?» Der Pförtner schob das Beil wieder unter das Bett und zog eine Schnapsflasche hervor. Er zog den Korken mit den Zähnen, nahm einen kräftigen Schluck und gab die Flasche an Ding Gou'er weiter. In der Flüssigkeit schwammen ein Stück gelber Ginseng und sieben schwarze Skorpione mit ausgestreckten Krallen. Er schüttelte die Flasche, und die Skorpione schwammen in der ginsenggetränkten Flüssigkeit umher. Ein seltsamer Duft stieg aus der Flasche auf. Ding Gou'er fuhr mit den Lippen über den Flaschenrand und gab sie dem Pförtner zurück.
    Der sah ihn misstrauisch an.
    «Willst du nichts?»
    «Ich bin kein großer Trinker», sagte Ding Gou'er.
    «Du bist wohl nicht von hier?», fragte der Pförtner.
    «Sag mal, Alter, das ist aber ein richtig fetter hellhäutiger Knabe.»
    Er beobachtete den Gesichtsausdruck des Pförtners. Der sah abgrundtief betrübt aus. Er nahm noch einen kräftigen Schluck und murmelte leise: «Was macht es schon aus, wenn ich ein bisschen Kohle verheize? Eine ganze Tonne von dem Zeug kostet keine …»
    Inzwischen war es Ding Gou'er so heiß geworden,

Weitere Kostenlose Bücher