Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
der Bau des unterirdischen Endlagers abgebrochen werden. Stattdessen würde die ganze Insel zum Endlager werden, zur verbotenen Zone, zum gigantischen, extrem teuren Mahnmal einer ganzen Ära, zu einem Mahnmal, das Finnland weitläufiger und dauerhafter bekannt machen würde als Tschernobyl.Riku umarmte Leo fest und lächelte. Sie standen vor dem Gebäude der KRP, der Regen hatte aufgehört, die Luft war angenehm kühl und frisch.
»Jetzt steig zu deiner Mutter ins Auto. Ich komme in einer Stunde nach, wie wir es ausgemacht haben«, sagte er und schloss kurz darauf die Wagentür hinter Leo. Katja saß am Steuer. Sie warf Riku einen unergründlichen Blick zu, dann startete sie den Wagen und fuhr davon.
Riku hätte Leo am liebsten nie mehr aus den Augen gelassen, aber es half alles nichts, er und sein Sohn mussten sich möglichst rasch wieder an das normale Leben gewöhnen. Leo sollte sich wieder vollkommen sicher fühlen können, nichts durfte das grundlegende Gefühl, behütet zu sein, erschüttern. Und Riku musste sich auf den stahlkalten Mechanismus verlassen, der Feliks Grischanow zwang, sie in Ruhe zu lassen – und durch den sie gezwungen waren, über die Operation der Russen zu schweigen. Riku konnte sich nicht mit Leo in einem geheimen Versteck verschanzen und auch nicht bis ans Ende der Welt fliehen.
Er konnte nicht tun, was sein Vater getan hatte.
Er atmete tief und ruhig. Noch sah er sich nicht in der Lage, seiner Mutter zu sagen, dass sein Vater am Leben war. Erst würde er selbst nach Brasilien fliegen, so bald wie möglich. Seinem Vater würde er das vorher nicht ankündigen, er wollte zuerst die Umstände dort mit eigenen Augen sehen.
Sebastians Verhalten verwunderte Riku. Was war er eigentlich für ein Mensch? Wieso war er nach Olkiluoto gefahren? Riku hatte vor, Elina gleich am nächsten Morgen zu treffen, und hasste sich schon jetzt dafür, dass er ihr von dem mysteriösen Schicksal des undurchschaubaren Mannes nichts erzählen wollte. Er wollte Elina nicht noch mehr mit Sebastians dubiosen Angelegenheiten belasten.
Kivelä, der etwas abseits telefoniert hatte, kam nun auf ihn zu.
»Wir konnten Feliks Grischanow unter der Nummer, die du uns gegeben hast, nicht erreichen«, erklärte er. »Nach dem Range Rover wird gefahndet, aber ich schätze, dass wir den auch nicht finden. Zumindest nicht mit Insassen. An den Grenzen läuft die Fahndung ebenfalls, vielleicht klappt es dort.«
»Hoffen wir es«, antwortete Riku, während er mit Kivelä auf den Haupteingang zuging.
Feliks hatte ihn und Leo in der Sturenkatu, nur wenige Kilometer vom Parlament entfernt, abgesetzt, freilich nicht ohne sich zu versichern, dass die Polizei ihnen nicht folgte. Zum Glück hatte Kivelä den Range Rover zu Leos Sicherheit ungehindert fahren lassen. Riku rief den Kollegen an, sobald er mit seinem Jungen auf der Straße stand. Kivelä holte die beiden ab und brachte sie zum Hauptquartier der KRP. Gegen Riku würde wegen fahrlässiger Tötung ermittelt werden, weil er in der alten Fabrikhalle in Roihupelto Nowikow erschossen hatte, allerdings in Notwehr. Feliks würde man wegen bewaffneter Geiselnahme anklagen, falls man ihn erwischte. Weitere Anschuldigungen lagen dem Staatsanwalt nicht vor.
In der Eingangshalle der KRP steuerten sie die Cafeteria an, wo sich vor dem Fernseher alle versammelt zu haben schienen, die nach Dienstschluss noch im Haus waren.
»Olkiluoto ist weltweit die absolute Hauptnachricht. Experten zufolge wird der Vorfall auch überall auf der Welt entscheidend die Atompolitik beeinflussen. Die Internationale Atomenergie-Organisation IAEA hat den Unfall als schweren Atomunfall der Stufe 6 auf der internationalen Bewertungsskala INES deklariert. Die Ursache für das Unglück ist noch immer nicht bekannt. Ihr auf die Spur zu kommen wird laut Fachleuten eine Herausforderung sein. Nach wie vor kämpfen Rettungskräfte mit dem Abdichten der Stellen, an denen radioaktive Strahlung austritt. Betonmischfahrzeuge fahren auf das Gelände und werden nach dem Abladen von Arbeitern in Strahlenschutzanzügen mit Hochdruckreinigern abgespritzt, ehe sie die Insel wieder verlassen …«
Riku schaute auf den Bildschirm und fühlte sich schuldig. Hätte er die Katastrophe verhindern können?
Ja. Wenn er Feliks Grischanow früher aufgespürt hätte. Wenn …
Jedes Wenn und Aber war jetzt sinnlos. Er sollte sich eher überlegen, ob es richtig war, über eine Angelegenheit solchen Ausmaßes zu schweigen, auch wenn es
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