Die schöne Ärztin
heißem Olivenöl. In der Küche arbeiteten vier Köche und stellten auf langen Nudelbrettern Ravioli her. Ein großer Kessel mit Tomatensoße stand immer unter Feuer. Am Sonntag, das wurde mit echtem südländischen Jubel aufgenommen, sollte es eine Minestrone geben, wie zu Hause in Postamente.
Auch die deutschen Kollegen waren vorerst freundlich und halfen den Söhnen des Südens, sich unter Tage und vor Ort zurechtzufinden. Ein wenig lächelten sie über den Eifer, mit dem sich die Italiener an die Arbeit machten, wie sie mit der Keilhaue gegen die Kohle wüteten und unermüdlich, Stunde um Stunde, an der Spannsäule standen und die Bohrmaschine gegen das Gestein trieben. Willi Korfeck sprach das aus, was die anderen dachten: »Das machen die nur ein paar Tage, dann fallen die vom Fleisch. Und wenn die uns den Rhythmus verderben, muß man mal deutsch mit ihnen reden.«
In den Wirtschaften wurde das Thema Fremdarbeiter fleißig diskutiert. Nach Schichtwechsel traf man sich am Tresen, kippte seinen Korn und hinterher das Bier, kratzte sich den Kopf und sah das ganze Problem zunächst von der falschen Seite.
»Es ist alles Scheiße, von wegen Wirtschaftswunder und Vollbeschäftigung, und was die Knilche von der Gewerkschaft uns vorquatschen«, sagte der Hauer Theo Barnitzki. Man nickte ihm beifällig zu, denn Barnitzki war etwas Besseres, er machte seit einiger Zeit in Abendkursen einen Lehrgang als Steiger mit. »Verdienen wollen die, immer mehr und mehr verdienen, das ist alles. Bisher hat auf Emma II alles geklappt, und wenn ihr euch die Halden anseht und das Geschrei über die Absatzkrise – Jungs, warum sollen wir immer mehr fördern? Aber nein, da holt man die Itacker nach hier – und es sollen noch zweihundert dazukommen! – Im Schacht stehen sie nur im Weg, weil man mit ihnen wie mit Taubstummen sprechen muß, mit Händen und Füßen, die Halden wachsen und wachsen, Jungs, sagt mal selbst: Wo ist denn da noch ein Sinn?« Er feuchtete seine trockene Kehle erneut mit einem Korn an und hieb mit der Faust auf den kleinen, runden Tisch mit der Kunststoffplatte. »Ich sage euch, das gibt einmal eine riesige Pleite! Und wer ist in'n Fot gekniffen? Wir! Wie immer! Dem Sassen tut dann kein Zahn mehr weh … der hat seine Millionen im Sack!«
Die Stimmung in Buschhausen richtete sich also bald nach dem Eintreffen der Fremdarbeiter gegen diese. Aber nicht allein in den Wirtschaften warf der Zuwachs der Belegschaft Schatten auf die Gemüter, auch in den kleinen, schmucken Siedlungshäusern war dieses Thema ebenso aktuell wie in der Villa des Grubendirektors, Dr. Ludwig Sassen.
Am Sonntag lag eine merkwürdige Stille über Buschhausen. Die jungen Buschhausener waren nach Gelsenkirchen gefahren, um Schalke 04 zuzujubeln. Die älteren gruben ihre Gärten um oder kümmerten sich um ihre Brieftauben. Es war ein schöner Frühlingstag, warm und fast windstill. Der Rauch aus den hohen Schornsteinen der nahen Kokerei stieg fast senkrecht in den blauen Himmel, das Seilscheibengerüst des Förderschachtes V hob sich gegen das wolkenlose Blau wie ein bizarrer, schwarzer Scherenschnitt ab.
Hans Holtmann saß zufrieden auf der Bank an der Gartenwand seines Häuschens und rauchte eine Pfeife. Elsi, seine Frau, und Barbara, seine Tochter, saßen vor ihm an einem selbstgeschreinerten Tisch und putzten holländischen Blumenkohl für das Mittagessen. Sohn Kurt war in Gelsenkirchen.
»Was gibt's heute im Fernsehen?« fragte Hans Holtmann und drückte mit dem Daumen den glimmenden Tabak tiefer in den Pfeifenkopf. Daß er daraufhin den schmutzigen Daumen an der Hose abwischte, war ein Ärgernis, mit dem Elsi Holtmann sich seit zehn Jahren herumschlug. Strafend sah sie auf die Hand, und Holtmann versteckte sie mit einem wie um Verzeihung bittenden Lächeln unter der Tischplatte.
»Guck mal, wer da kommt«, sagte Barbara, ehe die Frage nach dem Fernsehen beantwortet werden konnte. »Das ist doch einer von den Italienern.«
Über die Straße fuhr langsam auf einem Fahrrad Luigi Cabanazzi. Die Geschichte des Fahrrades war ein Roman für sich. Es hatte im Krieg dem deutschen Wehrmachtsposten gehört, der die Russen jeden Morgen um 5 Uhr zum Schacht V gebracht hatte. Dann war das Rad jahrelang in einem Schuppen des Lagers herumgelegen, unbemerkt, unter Bauholz und Trümmern. Auch beim Herrichten des Lagers für die Italiener hatte man es nicht entdeckt, weil man den Schuppen noch nicht brauchte. Luigi Cabanazzi aber fand es, als er
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