Die schöne Ärztin
herzlichste willkommen …«
»Sehen Sie!« Dr. Pillnitz lächelte breit. »Man kommt als Personalchef mit vierzehn Floskeln und Stammredensarten blendend aus. Er wird jetzt gleich weiterreden von Arbeitsgemeinschaft, Völkerfreundschaft, gemeinsamem Ziel, Wohlstand und Familienglück … aber er wird tunlichst verschweigen, daß ab morgen acht Stunden Knochenarbeit auf die Söhne des Südens warten, 400 Meter tief unter der Erde.«
»Machen Sie das Fenster zu, Bernhard.« Dr. Waltraud trat zurück. »Warum sind Sie eigentlich Zechenarzt geworden? Mit Ihrem Sarkasmus hätten Sie eine glänzende klinische Karriere machen können.«
Dr. Pillnitz schloß das Fenster. Waltraud Born hörte gerade noch die Worte: »… die geschichtliche Freundschaft unserer Völker …« dann knallte das Fenster zu.
»Mein Vater war Bergmann«, sagte Dr. Pillnitz plötzlich ernst. »Er starb an einer Silikose. Damals starben mehr als 40% aller Bergleute daran. Ich habe mir unter Tage das Geld für das Studium verdient und mir geschworen, meinen Kumpels zu helfen, wenn ich es einmal schaffe und Arzt bin. Man soll solche Schwüre nie vergessen, Waltraud.«
Dr. Born schwieg. Sie sah Dr. Pillnitz plötzlich mit anderen Augen an. Zum erstenmal erfuhr sie etwas Privates von ihm. In dem halben Jahr, in dem sie nun schon zusammen das Krankenrevier der Zeche Emma II betreuten, hatte es bisher nur berufliche Diskussionen oder läppische Neckereien zwischen ihnen gegeben. Sie wußte eigentlich nicht mehr von Dr. Pillnitz, als daß er unverheiratet war, weil seine Verlobte bei einem Autounfall gestorben, und er seitdem von einer merkwürdigen Scheu Frauen gegenüber war, wenn er spürte, daß sie sich für ihn zu interessieren begannen. Er bewohnte eine Neubauetage, verkehrte in keiner Wirtschaft Buschhausens, hatte keinen Stammtisch, trat nicht dem neu gegründeten Tennisclub bei und war lediglich zahlendes Mitglied des Brieftaubenvereins und ehrenhalber Sportarzt des Fußballvereins Buschhausen 09. Ein Sonderling, hieß es in Buschhausen, ein guter Arzt, aber ein scharfer Hund, wenn's um das Krankschreiben ging. Bei der Zechenleitung war er nicht gerade beliebt, weil er das sagte, was er dachte, unverblümt, ohne diplomatische Schnörkel, frei heraus wie ein Bergmann, der er trotz des weißen Kittels geblieben war.
Dr. Waltraud lauschte. Draußen wurden noch immer Reden gehalten. »Verstehen die denn, was man ihnen sagt?« fragte sie.
Dr. Pillnitz lächelte wieder.
»Warum? Es genügt, daß die das Gefühl haben, ehrenvoll empfangen zu werden. Wenn Sie in Venedig in einer Gondel fahren und ein Gondoliere singt Sie an, verstehen Sie ja auch nichts. Aber schön finden Sie's. Darauf kommt's an.«
Im Hof redete nun der Lagerleiter. Er war der einzige, der Italienisch sprach, zwar mühsam, aber die grinsenden Italiener verstanden ihn wenigstens und klatschten und jubelten nach jedem Satz. Sie hörten von gutem Essen, heimatlicher Küche, guten Zimmern und vorbildlicher Hygiene, ließen einen Vortrag über Benehmen und Sauberhaltung der Unterkünfte über sich ergehen und sahen zu den Fenstern des Verwaltungsgebäudes hinauf, wo sich einige Mädchenköpfe zeigten. Da schnalzten sie mit den Zungen und warfen sich in die Brust.
Der Lagerleiter sprach reichlich lange. Dem Transport der ersten 120 Italiener für Zeche Emma II war eine hektische Vorbereitung vorausgegangen. Das Wohnproblem hatte man schnell gelöst. 400 Meter von Schacht V entfernt standen noch die Barackenlager aus dem Krieg, in dem einmal 400 russische Kriegsgefangene gehaust hatten. Es waren langgestreckte, grün gestrichene Gebäude aus Holz, mit einem Sammelwaschraum, einigen Kaninchenställen und einem sogenannten Revier, in dem bis 1945 die furunkelkranken und halbverhungerten Russen von sowjetischen Feldschern und einem deutschen Sanitäter behandelt worden waren. In den Jahren nach dem Krieg waren die Baracken verrottet, die Dächer angefault, die Leitungen verrostet. Aus der Küchenbaracke hatte man die Kochkessel entfernt. In den Wassertrögen nisteten Hühner oder warfen Katzen ihre Jungen.
Drei Monate lang wurden die Baracken wieder in Ordnung gebracht, bis sie bewohnbar waren. Aber selbst der schönste grüne Anstrich konnte nicht den doppelten Stacheldrahtzaun vergessen machen, der noch aus dem Krieg stammte. Er umzog das ganze Lager und trennte es von der Außenwelt. Ein breites Tor war der einzige Weg in die Freiheit.
»Die werden sich daran gewöhnen«, hatte
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