Die schöne Ärztin
erfolgen … so schnell nicht, mein lieber Luigi. Erst wenn ich aus Buschhausen ganz sicher weiß, daß Dr. Pillnitz nicht mehr lebt, bekommst du deinen Lohn – nicht eher!
Das Mißtrauen Veronikas war berechtigt. Auch Luigi Cabanazzi erfuhr es erst zwei Tage später aus der Zeitung, in der ein großer Bericht über diesen merkwürdigen Unfall stand, illustriert mit den Bildern des Grauens auf der Straße.
Gestohlener Möbelwagen wird Krankentransport zum Verhängnis! Der unbekannte Täter flüchtig! Ein Toter, zwei Schwerverletzte!
Das waren die Überschriften, die Cabanazzi mühsam entzifferte. Aber dann wurde er bleich und hörte lange nicht auf, vor sich hinzufluchen.
Getötet wurde der Beifahrer. Der Fahrer des Krankenwagens war schwer verletzt, aber beides bewegte Cabanazzi nicht. Was ihn aufregte, war der Satz: »Die Kranke, die zum St. Johannis-Hospital gebracht werden sollte, Frau M.L., um dort am Blinddarm operiert zu werden, erlitt einen Oberschenkelbruch und Quetschungen des Brustkorbes. Ihr Zustand ist jedoch nicht besorgniserregend.«
Eine Frau! Cabanazzi ließ die Zeitung fallen. Dr. Pillnitz war also gar nicht in dem Wagen gewesen. Es war alles umsonst geschehen. Der Diebstahl, die Planung des Verbrechens, die Ausführung, der Tod des Sanitäters, alles war völlig sinnlos! Dr. Pillnitz lebte noch – und er lag jetzt schon wohlbehalten in dem großen Krankenhaus in Bochum, sicher und unerreichbar wie in einem Panzerschrank.
Cabanazzi spürte ein Zittern in den Beinen, als er von der Bank am Fußballplatz Buschhausens aufstand, die Zeitung zusammenfaltete und in die Tasche steckte. In der nahe gelegenen Wirtschaft ›Heideblume‹ trank er drei Gläser Rotwein, um sich zu beruhigen, aber das gelang ihm nicht. Der Gedanke, seine große Chance verspielt zu haben, bedrückte ihn zutiefst. Die 10.000, – Mark konnte er sich aus dem Kopf schlagen, und damit war auch der Plan begraben, nach Südamerika zu entweichen, weg aus diesem Europa, in dem er sich nirgends mehr sicher fühlen konnte und wo er wußte, daß er da einmal, früher oder später, sein Grab finden würde.
Um die gleiche Zeit lag Dr. Pillnitz auf dem Untersuchungstisch der Bochumer Klinik und hörte mit verschlossenem Gesicht zu, was ihm der Professor sagte:
»Wenn Sie dieses Bein wieder bewegen wollen, müßten wir Zauberer sein, Kollege. Wenn uns das gelänge, würde ich Sie der Kirche als neues Wunder melden! Ich kann es nicht. Wir können es nur versteifen und es so wenigstens zum Teil funktionsfähig erhalten.«
»Da sieht man wieder, wie weit wir sind«, sagte Dr. Pillnitz unglücklich. »Raketen in den Weltraum können wir schießen, aber ein Bein wiederherstellen, wird zum Wunder! Es ist zum Kotzen!« Er hob die Schultern. »Also gut, machen Sie, was Sie wollen. Ich muß mich eben damit abfinden, ein Krüppel zu bleiben.«
Die Nachtschicht war eingefahren. Cabanazzi, der sie mit 70 anderen Landsleuten verfahren sollte, war durch einen Ersatzmann vertreten worden, der stillschweigend die Marke Cabanazzis nahm, sie gegen die Grubenlampe abgab und einfuhr. Es fiel gar nicht auf. Für den Steiger sah ein Italiener unter Tage aus wie der andere. Unter der Kohlenstaubschicht verschwanden äußerliche Unterschiede. Die Gesichter wurden einheitlich.
Im Lager aber, hinter den geschlossenen Läden, hatte sich das Komitee wieder versammelt. Nicht im Gemeinschaftsraum, das wäre dem Lagerleiter aufgefallen, sondern in der Baracke 1, Zimmer 10, dem größten Zimmer mit zwölf Betten. Hier saßen auf den Kanten der unteren Betten die Komiteemitglieder und rauchten und tranken Chianti aus den bauchigen, mit Bast umflochtenen Flaschen.
Cabanazzi stand vor ihnen, bleich, mit eingefallenem Gesicht, die Hände auf dem Rücken. Als drei Männer ihn aus dem Bett geholt hatten, hatte er keinerlei Gegenwehr versucht. Die ungeschriebenen Gesetze der Mafia waren ihm zu genau bekannt. Nur wußte er nicht, was man ihm wieder vorwarf. Er hatte alles getan, was das Komitee befahl; er war eingefahren in die Grube, er hatte vor Ort gearbeitet, er hatte vermieden, Aufsehen zu erregen. Und doch empfand er dumpfe Angst, als er vor den Betten stand und in die im Zigarettenrauch schwimmenden Gesichter der Männer des Komitees sah.
Ohne Einleitung, ohne Erklärung vernahm Cabanazzi plötzlich ein Urteil. Er zuckte unter den Worten zusammen wie unter Peitschenhieben und wurde leichenblaß.
»Das Komitee hat folgendes Urteil beschlossen: Luigi Cabanazzi
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