Die schöne Ärztin
geknallt. Ein Elfmeter, weil Tomaschewski, trotz aller Großzügigkeit, nicht übersehen konnte, daß einem Italiener die Beine weggezogen wurden, als er sich den Ball im Strafraum auf den Schußfuß legen wollte.
Auf den Platz senkte sich bleierne Stille. Es handelte sich um die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Pater Wegerich verließ seine Bank und ging langsam hinter das italienische Tor. Er sagte dem kleinen, fliegenden Sagrinelli etwas. Der Italiener sah den Pater groß an, blickte in die Runde, nickte und lehnte sich an den Pfosten des Tores.
Da blieb er auch stehen, als Barnitzki durchbrach und unter dem Johlen der Menge vor dem Tor auftauchte. Verwirrt schob Barnitzki den Ball über die Linie und starrte dann den italienischen Torwart an.
»Bist du verrückt?« schrie er ihn an. »Was soll das?«
»Noch ein Tor, amigo«, sagte Sagrinelli freundlich. »Wir haben beschlossen, zu spielen heute unentschieden.«
Es wurde die größte, die offensichtlichste, die peinlichste Blamage Buschhausens. Nach dem Ausgleichstreffer, nach dem 3 : 3, legten die Italiener einen Riegel vor ihr Tor, den niemand aufstemmen konnte. Aber sie stürmten auch nicht, und wenn sie trotzdem einmal – fast ungewollt – vor dem Tor Buschhausens auftauchten, donnerten sie den Ball neben oder über das Tor, so offensichtlich, daß die Buschhausener jedesmal laut aufstöhnten.
Häusermakler Hampel kletterte von der Tribüne hinab zur Reservebank und legte Pater Wegerich die Hand auf die Schulter.
»Wenn Sie kein Priester wären, würde ich sagen, Sie sind ein abgefeimtes Subjekt. Sie kennen alle Tricks, um die Leute weichzumachen! Können wir mal in Ruhe miteinander reden?«
»Jederzeit!« Pater Wegerich lächelte. »Sind sie nicht fabelhaft, meine Jungs aus Sizilien?«
»Goldstücke!« Makler Hampel kaute an der Unterlippe. »Sie haben recht, Pater, unsere Mannschaften sollten sich zusammentun. Wer könnte uns da noch schlagen?«
Der Schlußpfiff machte dem Jammer Buschhausens auf dem Fußballsektor ein Ende. Jeder am Feldrand hatte diese Demonstration begriffen. Stimmen wurden laut und später in den Wirtschaften zum Orkan.
»Spielen können die Itacker!« hieß es. »Kinder, hört doch endlich auf, sie zu boykottieren. Stellt euch vor, wenn die für uns spielen –«
Die Stimmung schlug völlig um seit diesem Sonntagmorgen. Ein guter Fußballspieler ist im Ruhrpott ein halber Heiliger.
Veronika und Oliver waren abgereist. Nach Ischia. Die erste Runde war gewonnen, Veronika atmete auf. In sechs Wochen würde sich die kleine Welt von Buschhausen völlig gewandelt haben. Es würde keinen Dr. Pillnitz mehr geben, keinen Cabanazzi mehr, keine Versuchung und auch keine Erinnerung daran. Es würde reiner Tisch sein, auf den vom Schicksal neu serviert werden konnte.
Nach der Abreise Veronikas ließ Pater Wegerich nach einem Abendgottesdienst im Italienlager Luigi Cabanazzi zu sich kommen. Er hatte ihn in der ersten Reihe der Gläubigen bemerkt, fleißig und mit Inbrunst betend.
»Gott durchschaut jeden, Cabanazzi«, sagte Pater Wegerich, als Cabanazzi mit unruhigen Augen vor ihm stand. »Kannst du noch das sechste Gebot aufsagen?«
Cabanazzi schwieg verbissen. Auch Pater Wegerich wartete. Endlich stieß Cabanazzi hervor:
»Ja!«
»Und?«
»Was wollen Sie, Padre?«
»Das sechste Gebot lautet: du sollst nicht ehebrechen! – Und ein Ehebrecher sitzt vorne in der Bank und betet! Glaubst du, Gott läßt sich so betrügen wie ein Mensch? Warum betest du?«
»Soll ich nicht?«
»Nein! Oder bereust du deine Sünden?«
»Welche Sünden, Padre?« Cabanazzi hob die Schultern. »Gott hat dem Löwen Krallen gegeben, dem Wolf ein Gebiß und dem Menschen Geist. Er hat alles gegeben, damit man es gebraucht. Warum ist es dann Sünde?«
»Du solltest von hier weggehen, Cabanazzi«, sagte Pater Wegerich eindringlich. »Mein Amt verpflichtet mich, jeden Menschen zu lieben. Es wird mir schwer, es auch bei dir zu tun. Es ist jetzt eine gute Gelegenheit, wegzugehen, einen Strich unter alles zu ziehen. Frau Sassen ist abgereist … geh auch du! Ich bin dabei, Frieden zu stiften, deine Landsleute in den Kreis der deutschen Familien miteinzuschließen, ihnen das Gefühl der Geborgenheit zu geben. Einer wie du kann das alles wieder zerstören. Ich weiß nicht, wie Gott jetzt über mich denkt und richtet, aber du mußt weg, Cabanazzi!«
»Ich werde gehen.«
»Ach!« Pater Wegerich sah den Italiener verblüfft an. »Ist das wahr?«
»Ja, Padre.
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