Die schoene Frau Seidenman
wirtschaftlichen Untergrund, ohne den das Land als rücksichtslos ausgebeutetes Hinterland der nazistischen Kriegsmaschinerie nicht hätte leben können, zum Teil aus dem Raub jüdischer Habe; denn die Deutschen rissen zwar den Hauptteil der Beute an sich, doch manch wertvolles Stück fiel in polnische Hand. Pawełek tummelte sich in einem sonderbaren Grenzbereich, zwischen ruinierten Sammlern aus Vorkriegszeiten, Landadligen, die ihre Möbel und Pretiosen verkauften, einst begüterten Besitzern von Stichen, Bildern und Tafelsilber, und der kleinen, aber wachen und betriebsamen Gruppe der ewig hungrigen und unersättlichen, harten und kalten, prahlerischen Neureichen; unter ihnen fanden sich manchmal Liebhaber schöner Dinge und Kenner, die das Schicksal vor dem Kriege vielleicht gedemütigt hatte, ehemalige Wanderer auf Nebenwegen, die endlich in die Hauptstraße einbiegen und sich an den früher glücklicheren Konkurrenten rächen konnten. Im großen und ganzen waren das ziemlich düstere Geschäfte, doch gab es auch Leute vom Zuschnitt des Schneiders Kujawski, eines reichen Sammlers, der sich zur Verwunderung seiner Kunden oft als gutherziger und freigiebiger Mensch erwies. Pawełek hielt sich an den Schneider, und der Schneider mochte Pawełek. Eine Zeitlang bildeten sie ein unzertrennliches Paar, später lockerte sich die Beziehung etwas, nicht infolge von Zwistigkeiten beim Handel, sondern wegen Pawełeks Studium an der UntergrundUniversität und wegen seiner Liebesdramen.
Er lernte Monika kennen. Sie war achtzehn Jahre alt, hatte rabenschwarzes Haar, eine silbrige Haut, das Profil einer Gemme, die Anmut eines trägen Raubtiers. Im Spätherbst des Jahres 1942 küßte Pawełek Monika. Ihr Mund war kühl, die Lippen zusammengepreßt, die Augen feindselig.
»Nie wieder!« sagte sie. »Nie wieder!«
Doch einige Tage später küßte er von neuem Monikas Mund. Sie erwiderte den Kuß. Er war dem Tode nahe. Er liebte Monika. Sie war schön, klug, gut. Gegen sie war er ein Nichts. Ein Kiesel am Weg. Ein herbstliches Blatt. Ein verfluchtes Gespenst. Während einer Rikschafahrt legte er eines Tages seine Hand auf ihr Knie. Sie erstarrte. Er zog die Hand zurück. Über seinem Kopf spürte er die Fittiche des Todes. Eines anderen Tages, als sie die Marszałkowska-Straße entlanggingen, begegneten sie Kujawski. Er lüftete seinen Hut. Als Mensch von großem Feingefühl pflegte er die Manieren der großen Welt. Monika sagte: »Was für ein komischer Wicht.«
Pawełek gab zu, daß Kujawski ein komischer Wicht sei. Eine Woche später, als ein gemeinsames Geschäft sie zusammenführte, erinnerte der Schneider sich an Monika.
»Sie haben wirklich Glück, Herr Pawełek.«
»Nämlich, Herr Kujawski?«
»Dieses Fräulein an Ihrer Seite auf der Marszałkowska. Sie ist vollkommen schön…»
Er zögerte einen Augenblick, schüttelte den Kopf und fügte hinzu: »Vollkommen? Was sage ich da? Sie ist unendlich schön…«
Pawełek gab zu, daß Kujawski ein weiser Mensch sei, ein Kunstkenner, ein ernsthafter Connaisseur.
Er liebte Monika, liebte aber auch Frau Irma. Das waren zwei verschiedene Lieben. Mit Monika wollte er das ganze Leben verbringen, mit Frau Irma ein paar Stunden. Mit Monika wollte er alt werden, an Frau Irmas Seite reif. Aber er lebte in grausamen Zeiten. Seine Sehnsüchte gingen nicht in Erfüllung. Zum ersten Mal bekannte er Frau Irma seine Liebe, als sie eine sehr alte Frau war, auf der Terrasse eines Cafés an der Avenue Kléber in Paris, dreißig Jahre nach dem Tod der schönen Monika. Keine dieser Frauen prägte Pawełeks emotionale Persönlichkeit. Die Frauen, die seinem Leben Stempel und Siegel aufdrückten, sollten erst noch kommen. Doch Frau Irma und Monika machten Pawełek mit dem Tod vertraut. Er bewahrte ihnen Dankbarkeit.
Während er jetzt seine Hände betrachtete und aus dem Bett aufstand, spürte er jedoch keine Dankbarkeit. Er fühlte sich frisch und entschieden. Er hatte beschlossen, an diesem Tage ein für allemal mit seiner Liebe zu Frau Irma Schluß zu machen und sein ganzes Herz Monika zu schenken. Immer noch glaubte er, Herr seiner Entscheidungen zu sein. Er glaubte an die Freiheit. Das muß man ihm verzeihen. Er war noch nicht neunzehn Jahre alt.
Er wusch sich mit kaltem Wasser, prustete und war beinahe glücklich. Aber nicht ganz, weil ihm Henio Fichtelbaum wieder einfiel. Der Freund von der Schulbank. Der Schüler mosaischen Bekenntnisses Henio
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