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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Fichtelbaum. Sein bester Freund aus Kindheit, Jugend und früher Reifezeit. Henio Fichtelbaum, Pawełeks Helfer bei den Mathematikaufgaben. Der kapriziöse, hübsche, dunkle, konzentrierte. Es gab Momente, da sie sich haßten. Henio schob die Lippen vor.
      »Ich pfeife auf dich, Pawełek!« sagte er und ging fort unter die Bäume des  Ogród Saski , klein, widerwärtig, mit dem Tornister auf dem Rücken. In ausweglosem Zorn trat Pawełek gegen die Kastanien. Sie haßten sich. Es kam vor, daß der grausame Henio umkehrte. Seine Lippen waren aufgeworfen, er schaute vor seine Füße, auch er trat gegen Kastanien.
      »Laß gut sein«, sagte er, »wir können zusammen zur Królewska-Straße gehen.«
    Es kam aber auch vor, daß Pawełek hinter Henio herrannte.
    »Halt! Warte! Ich geh mit dir…«
      Sie spielten Indianer, sie spielten Abessinier. Henio warf sich eine karierte Decke um die Schultern und sagte zu Pawełek: »Ich bin Haile Selassie! Du bist der Führer meiner Truppen.«
      Doch manchmal ergriff Pawełek die Decke und war der Kaiser. Sie stießen Kriegsrufe aus. Die Italiener flohen. Henio schoß mit Kanonen, Pawełek mit Pistolen. Sie zielten mit Pfeil und Bogen, sie warfen Speere.
      Henio Fichtelbaum mochte Süßigkeiten, Pawełek Filme. Sie stritten sich. Henio wollte Schokolade essen, Pawełek ins Kino gehen. Sie stritten sich, die Trennung war unerträglich, die Schokolade fade, der Film öde. Sie waren Freunde, wie Erwachsene es nicht sein können. Sie starben füreinander beim Spiel, waren aber auch bereit, wirklich zu sterben, weil sie den Tod noch nicht verstanden, also auch nicht fürchteten, sie konnten sich das Sterben nicht vorstellen.
      Später konnten sie es sich vorstellen. Im Jahre 1940 ging Henio ins Ghetto. Zwei Jahre später floh er und erschien bei Pawełek. Der besorgte ihm ein vorzügliches Versteck bei einem Uhrmacher. Henio Fichtelbaum zog auf den Dachboden. Dort versorgte Pawełek ihn mit Büchern und Nachrichten. Henio meuterte und zeigte sich launisch. Die Ghettoerfahrungen verblichen in seiner Erinnerung. Der Dachboden setzte ihm zu.
    »Das ist ein Kittchen!« sagte Henio Fichtelbaum.
      »Um Gottes willen, Henio, faß dich an den Kopf. Wo könntest du es besser haben? Du mußt dich zu Geduld aufraffen.«
    »Ich will auf die Straße gehen, Pawełek.«
    »Ausgeschlossen!«
    »Ich gehe aber!«
    »Du bist ein Schwachkopf, Idiot, Blödian!« schrie Pawełek.
      Henio ging nicht hinunter. Später konnte er das Eingeschlossensein nicht mehr ertragen. Pawełek tobte.
      »Siehst du, alles in Ordnung«, sagte Henio Fichtelbaum phlegmatisch. »Ich war in der Stadt und lebe noch. Nichts ist passiert.«
    »Du hast kein Gewissen!« rief Pawełek.
    Sie waren Freunde. Erneut gab Henio nach. Nicht aus Angst um sein Leben, sondern aus Liebe zu Pawełek. Doch zwei Monate später verschwand er spurlos. Pawełek betete inbrünstig. Wochen vergingen ohne Nachricht. Der ganze Winter. Henio existierte nicht mehr. Nur spät in der Nacht, wenn Pawełek schlief, erschien Henio im Dunklen und gab ihm ein Zeichen. Das Zeichen des Lebens, dachte Pawełek und schlief ein. Morgens weckten ihn die Frauen, Frau Irma und Monika. Alle drei tauchten sie aus Pawełeks Träumen empor. Henio Fichtelbaum war nicht da. Er blieb schrecklich abwesend. Er ist gestorben, dachte Pawełek. Nachts aber kam Henio wieder und gab ihm das Zeichen.
      Auch später kam er, viele Jahre lang. Die Welt, in der Henio geblieben war, gab es nicht mehr, trotzdem erschien er bei Nacht und gab Paweł das Zeichen. Dann dachte Paweł, es sei das Zeichen des Todes und nicht des Lebens. Rufe mich nicht, sagte er zu Henio Fichtelbaums Schatten, du hast kein Recht zu rufen. Er schlief ohne Furcht ein, weil er wußte, daß Henio Fichtelbaum kein Abgesandter Gottes war, sondern nur eine gute Erinnerung. Vielleicht ist es dasselbe, dachte er manchmal.
    Aber er vertraute darauf, daß Gott auch die Liebe ist.
      Eigentlich kann man sagen, Paweł sei ein Auserwählter des Schicksals gewesen. Er überstand den Krieg und erlebte die Liebe. Etwas Erstaunliches. Beinahe ein Glückskind! Knapp zwanzig Jahre alt, kam es ihm so vor, als wäre alles restlos verbrannt. Diese Stadt war die ganze Welt, die er besaß. Nicht die ganze Stadt, sondern nur ihr Kern, die wenigen Straßen zwischen dem Belvedere und dem Königsschloß, dem Weichselufer und dem Friedhof von  Wola . Luft, Himmel und Erde waren hier anders. Mietshäuser begrenzten

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