Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
sich nach einer anderen Stelle der Wiese. Zu schlafen hatte er jetzt keine Lust mehr, und so begann er zu fressen. Doch wiederum näherte sich ihm die Schelmin, begleitet von ihren Gefährtinnen. Eine zweijährige weißnasige und im Übrigen sehr alberne Stute, die immer und in allem die Braune nachahmte, kam zusammen mit ihr heran und begann, wie es Nachahmer gewöhnlich tun, die Anstifterin des Ränkespiels gegen den Wallach noch zu überbieten. Die braune Stute kam in der Regel wie in Gedanken versunken an den Wallach heran und ging, ohne ihn zu beachten, dicht an seiner Nase vorüber, so dass er nie wusste, ob er böse werden sollte oder nicht, was wirklich ungemein komisch war. Sie verfuhr auch diesmal so, aber die weißnasige Stute, die ihr folgte und in besonders ausgelassene Stimmung geraten war, ließ es sich nicht nehmen, den Wallach mit der ganzen Brust anzurempeln. Dieser fletschte abermals die Zähne, stieß ein kurzes Wiehern aus und jagte mit einer Flinkheit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, hinter ihr her und biss sie in die Lende. Die Weißnasige schlug mit beiden Hinterbeinen aus und versetzte dem Alten einen empfindlichen Schlag gegen die hageren, fleischlosen Rippen. Der Alte ächzte vor Schmerz und wollte erneut auf die Stute losstürzen; doch dann besann er sich eines andern und zog sich mit einem tiefen Seufzer zurück. Der freche Ausfall, den sich der scheckige Wallach gegen die weißnasige Stute erlaubt hatte, wurde offenbar von sämtlichen Jungtieren der Herde als persönliche Beleidigung aufgefasst, denn den ganzen restlichen Tag über hinderten sie ihn am Fressen und ließen ihn keinen Augenblick in Ruhe, so dass der Pferdehirt sie mehrmals beschwichtigen musste und gar nicht begreifen konnte, was in sie gefahren war. Der Wallach war so gekränkt, dass er von selbst auf Nester zuging, als der Alte Anstalten traf, die Herde nach Hause zu treiben, und erst als er ihn gesattelt und ihn bestiegen hatte, fühlte er sich glücklicher und geborgener.
Weiß Gott, worüber der alte Wallach nachdachte, als er mit dem alten Nester auf dem Rücken davontrabte. Sei es, dass er mit Verbitterung an die Aufdringlichkeit und Grausamkeit der Jugend dachte, sei es, dass er mit dem verächtlichen, stillen Stolz, der dem Greisenalter eigen ist, seinen Peinigern verzieh – er gab jedenfalls seine Gedanken auf dem ganzen Wege bis nach Hause durch nichts zu erkennen.
Als Nester an jenem Abend mit der Herde an den Häusern der Gesindeleute vorbeikam, erblickte er vor seiner Wohnung einen Wagen mit einem am Torpfosten angebundenen Pferd: Seine Gevattern waren zu Besuch gekommen. Beim Hineintreiben der Herde auf den Hof hatte er es nun so eilig, dass er den Wallach hineinließ, ohne ihm den Sattel abzunehmen; er rief Waska zu, dass er ihn absatteln solle, schloss das Tor und begab sich zu seinen Gevattern. Ob es nun an der Beleidigung lag, die der weißnasigen Stute, einer Urenkelin Smetankas, von diesem auf dem Pferdemarkt gekauften »grindigen Klepper« zugefügt worden war, der weder Vater noch Mutter kannte und durch seinen Ausfall die aristokratischen Gefühle der ganzen Herde verletzt hatte, oder daran, dass der Wallach ohne Reiter mit seinem hohen Sattel für die übrigen Pferde einen groteskphantastischen Anblick darbot – kurzum, auf dem Gestütshof ereignete sich in jener Nacht etwas Außergewöhnliches. Sämtliche Pferde, jung und alt, jagten mit gefletschten Zähnen hinter dem Wallach her und hetzten ihn auf dem Hof herum, wobei Hufschläge gegen seine eingefallenen Flanken und sein schweres Ächzen zu hören waren. Der Wallach konnte diese Hetze schließlich nicht mehr ertragen, war nicht mehr imstande, sich den Schlägen zu entziehen. Er blieb in der Mitte des Hofes stehen, und in seinen Gebärden drückte sich das erbärmliche Bild greisenhafter Schwäche, ohnmächtiger Wut und schließlich Verzweiflung aus. Doch dann legte er die Ohren an den Kopf und tat unversehens etwas, wodurch alle Pferde im Nu zur Ruhe kamen. Wjasopuricha, die älteste Stute, trat an den Wallach heran, beschnupperte ihn und stieß einen Seufzer aus. Auch der Wallach seufzte …
5
In der Mitte des vom Mond hell erleuchteten Hofes erhob sich die große hagere Gestalt des Wallachs mit dem hohen Sattel und dem zapfenförmig emporragenden Sattelbug. Die übrigen Pferde standen regungslos und in tiefem Schweigen um ihn herum, als bekämen sie etwas ganz Neues und Außergewöhnliches von ihm zu hören. Es war auch
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