Die schönsten Erzählungen
Betrachtungen daran zu knüpfen. Er empfand zwar wohl ein Mitleid mit diesen armen Teufeln, von welchen namentlich einer den Kopf hängen ließ und jeden Schritt voll Widerstreben tat; doch meinte er, es ginge ihnen eigentlich nicht gar so übel wie ihre augenblickliche Lage andeute.
»Jeder von diesen Gefangenen«, dachte er, »hat als ersehntes Ziel den Tag vor Augen, da er entlassen und wieder frei wird. Ich aber habe keinen solchen Tag vor mir, nicht nah noch fern, sonderneine endlose bequeme Gefangenschaft, nur durch seltene gestohlene Stunden einer eingebildeten Freiheit unterbrochen. Der eine oder andere von den armen Kerlen da drüben mag mich jetzt hier sitzen sehen und mich herzlich beneiden. Sobald sie aber wieder frei sind und ins Leben zurücckehren, hat der Neid ein Ende, und sie halten mich lediglich für einen armen Tropf, der wohlgenährt hinter dem zierlichen Gitter sitzt.«
Während er noch, in den Anblick der Dahingeführten und Soldaten verloren, solchen Gedanken nachhing, trat ein Bruder bei ihm ein und meldete, er werde vom Guardian in dessen Amtszimmer erwartet. Freundlich kam der gewohnte Gruß und Dank von seinen Lippen, lächelnd erhob er sich, tat das Buch an seinen Ort, wischte über den braunen Ärmel seiner Kutte, auf dem ein Lichtreflex vom Wasser herauf in rostfarbenen Flecken tanzte, und ging sogleich mit seinem unfehlbar anmutig würdigen Schritt über die langen kühlen Korridore zum Guardian hinüber.
Dieser empfing ihn mit gemessener Herzlichkeit, bot ihm einen Stuhl an und begann ein Gespräch über die schlimme Zeit, über das scheinbare Abnehmen des Gottesreiches auf Erden und die zunehmende Teuerung. Pater Matthias, der dieses Gespräch seit langem kannte, gab ernsthaft die erwarteten Antworten und Einwürfe von sich und sah mit froher Erregung dem Endziel entgegen, welchem sich denn auch der würdige Herr ohne Eile näherte. Es sei, so schloß er seufzend, eine Ausfahrt ins Land sehr notwendig, auf welcher Matthias den Glauben treuer Seelen ermuntern, den Wankelmut ungetreuer vermahnen solle und von welcher er, wie man hoffe, eine erfreuliche Beute von Liebesgaben heimbringen werde. Der Zeitpunkt sei nämlich ungewöhnlich günstig, da ja soeben in einem fernen südlichen Lande bei Anlaß einer politischen Revolution Kirchen und Klöster mörderlich heimgesucht worden, wovon alle Zeitungen meldeten. Und er gab dem Pater eine sorgfältige Auswahl von teils schrecklichen, teils rührenden Einzelheiten aus diesen neuesten Martyrien der kämpfenden Kirche.
Dankend zog sich der erfreute Pater zurück, schrieb Notizen in sein kleines Taschenbüchlein, überdachte mit geschlossenen Augen seine Aufgabe und fand eine glückliche Wendung und Lösung um die andere, ging zur gewohnten Stunde munter zuTisch und brachte alsdann den Nachmittag mit den vielen kleinen Vorbereitungen zur Reise hin. Sein unscheinbares Bündel war bald beisammen; weit mehr Zeit und Sorgfalt erforderten die Anmeldungen in Pfarrhäusern und bei treuen gastfreien Anhängern, deren er manche wußte. Gegen Abend trug er eine Handvoll Briefe zur Post und hatte dann noch eine Weile auf dem Telegrafenamt zu tun. Schließlich legte er noch einen tüchtigen Taschenvorrat von kleinen Traktaten, Flugblättern und frommen Bildchen bereit und schlief danach fest und friedvoll als ein Mann, der wohlgerüstet einer ehrenvollen Arbeit entgegengeht.
2
Am Morgen gab es, gerade vor seiner Abreise, noch eine kleine unerfreuliche Szene. Es lebte im Kloster ein junger Laienbruder von geringem Verstand, der früher an Epilepsie gelitten hatte, aber seiner zutraulichen Unschuld und rührenden Dienstwilligkeit wegen von allen im Hause geliebt wurde. Dieser einfältige Bursche begleitete den Pater Matthias zur Eisenbahn, seine kleine Reisetasche tragend. Schon unterwegs zeigte er ein etwas erregtes und gestörtes Wesen, auf dem Bahnhof aber zog er plötzlich mit flehenden Mienen den reisefertigen Pater in eine menschenleere Ecke und bat ihn mit Tränen in den Augen, er möge doch um Gottes willen von dieser Reise abstehen, deren unheilvollen Ausgang ihm eine sichere Ahnung vorausverkünde.
»Ich weiß, Ihr kommt nicht wieder!« rief er weinend mit verzerrtem Gesicht. »Ach, ich weiß gewiß, Ihr werdet nimmer wiederkommen!«
Der gute Matthias hatte alle Mühe, dem Trostlosen, dessen Zuneigung er kannte, zuzureden; er mußte sich am Ende beinahe mit Gewalt losreißen und sprang in den Wagen, als der Zug schon die Räder zu drehen
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