Die schönsten Erzählungen
Hat sie gesoffen?«
»Das hätte noch gefehlt! Nein, gesoffen hab ich, wie’s der Brauch ist, und nicht das Weib. Aber sie ist schuld gewesen.«
»So? Was hat sie denn angestellt?«
»Frag nicht so viel!«
»Hast auch Kinder?«
»Ein Bub. In Amerika.«
»Der hat recht. Dem geht’s besser als uns.«
»Ja, wenn’s nur wahr wär. Um Geld schreibt er, der Dackel! Hat auch geheiratet. Wie er fortgegangen ist, sag ich zu ihm: Frieder, sag ich, mach’s gut und bleib gesund; hantier, was du magst, aber wenn du heiratest, geht’s Elend los. – Jetzt hockt er drin. Gelt, du hast kein Weib gehabt?«
»Nein. Siehst, man kann auch ohne Weib ins Pech kommen. Was meinst?«
»Danach man einer ist. Ich wär heut noch Meister, wenn die Dundersfrau nicht gewesen wär.«
»Na ja!«
»Hast du was gesagt?«
Hürlin schwieg still und tat so, als wäre er eingeschlafen. Eine warnende Ahnung sagte ihm, daß der Seiler, wenn er erst einmal recht angefangen habe, über sein Weib loszuziehen, kein Ende finden würde.
»Schlaf nur, Dicckopf!« rief Heller herüber. Er ließ sich aber nimmer reizen, sondern stieß eine Weile künstlich große Atemzüge aus, bis er wirklich schlief.
Der Seiler, der mit seinen sechzig Jahren schon einen kürzeren Schlummer hatte, wachte am folgenden Morgen zuerst auf. Eine halbe Stunde blieb er liegen und starrte die weiße Stubendecke an. Dann stieg er, der sonst schwerfällig und steif von Gliedern erschien, leise wie ein Morgenlüftchen aus seinem Bett, lief barfuß und unhörbar zu Hürlins Lagerstatt hinüber und machte sich an dessen über den Stuhl gebreiteten Kleidern zu schaffen. Er durchsuchte sie mit Vorsicht, fand aber nichts darin, als das Bleistiftstümpchen in der Westentasche, das er herausnahm und für sich behielt. Ein Loch im Strumpf seines Schlafkameraden vergrößerte er mit Hilfe beider Daumen um ein Beträchtliches. Sodann kehrte er sachte in sein warmes Bett zurück und regte sich erst wieder, als Hürlin schon erwacht und aufgestanden war und ihm ein paar Wassertropfen ins Gesicht spritzte, da sprang er hurtig auf, kroch in die Hosen und sagte guten Morgen. Mit dem Ankleiden hatte er es gar nicht eilig, und als der Fabrikant ihn antrieb, vorwärts zu machen, rief er behaglich: »Ja, geh nur einstweilen hinüber, ich komm schon auch bald.« Der andere ging, und Heller atmete erleichtert auf. Er griff behende zum Waschbecken und leerte das klare Wasser zum Fenster in den Hof hinaus, denn vor dem Waschen hatte er ein tiefes Grauen. Als er sich dieser ihm widerstrebenden Handlung entzogen hatte, war er im Umsehen mit dem Ankleiden fertig und hatte es eilig, zum Kaffee zu kommen.
Bettmachen, Zimmeraufräumen und Stiefelputzen ward besorgt, natürlich ohne Hast und mit reichlichen Plauderpausen.Dem Fabrikanten schien das alles zu zweien doch freundlicher und bequemer zu gehen als früher allein. Sogar die unentrinnbar bevorstehende Arbeit flößte ihm heute etwas weniger Schrecken ein als sonst, und er ging, wenn auch zögernd, mit fast heiterer Miene auf die Mahnung des Hausvaters mit dem Seiler ins Höflein hinunter.
Trotz heftiger Entrüstungsausbrüche des Strickers und trotz seines zähen Kampfes mit der Unlust des Pfleglings war in den vergangenen paar Wochen an dem Holzvorrat kaum eine wahrnehmbare Veränderung vor sich gegangen. Die Beuge schien noch so groß und so hoch wie je, und das in der Ecke liegende Häuflein zersägter Rollen, kaum zwei Dutzend, erinnerte etwa an die in einer Laune begonnene und in einer neuen Laune liegengelassene spielerische Arbeit eines Kindes.
Nun sollten die beiden Grauköpfe zu zweien daran arbeiten; es galt, sich ineinander zu finden und einander in die Hände zu schaffen, denn es war nur ein einziger Sägbock und auch nur eine Säge vorhanden. Nach einigen vorbereitenden Gebärden, Seufzern und Redensarten überwanden die Leutlein denn auch ihr inneres Sträuben und schickten sich an, das Geschäft in die Hand zu nehmen. Und nun zeigte sich leider, daß Karl Hürlins frohe Hoffnungen eitel Träume gewesen waren, denn sogleich trat in der Arbeitsweise der beiden ein tiefer Wesensunterschied zutage.
Jeder von ihnen hatte seine besondere Art, tätig zu sein. In beider Seelen mahnte nämlich, neben der eingebornen Trägheit, ein Rest von Gewissen schüchtern zum Fleißigsein; wenigstens wollten beide zwar nicht wirklich arbeiten, aber doch vor sich selber den Anschein gewinnen, als seien sie etwas nütze. Dies erstrebten sie nun auf
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