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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Geld aus dem Fenster werfen sollen? Und Philip hasste es weiß Gott, Geld auszugeben. Vielleicht hatten die Sitzungen Philip ja doch verändert. Vielleicht war er ein Spätzünder – einer jener Patienten, die Zeit brauchen, um die Nahrung zu verdauen, die der Therapeut ihnen verabreicht, einer von denen, die sich einige der Leckerbissen des Therapeuten aufbewahren, sie mit nach Hause nehmen wie einen Knochen, an dem sie später ganz allein herumnagen. Julius hatte Patienten kennen gelernt, die so sehr mit ihm konkurrierten, dass sie ihre positive Entwicklung verheimlichten, nur weil sie dem Therapeuten die Befriedigung (und die Macht), ihnen geholfen zu haben, nicht gönnten.
    Nun, da ihm Philip Slate in den Sinn gekommen war, ging er Julius nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich in ihm eingenistet und Wurzeln geschlagen. Ebenso wie das Melanom. Sein Misserfolg bei Philip wurde zu einem Symbol, das all seine therapeutischen Misserfolge verkörperte. Der Fall Philip Slate hatte etwas Besonderes. Was machte ihn so einprägsam? Julius schlug die Akte auf und las seine erste Notiz, die er vor über zweiundzwanzig Jahren geschrieben hatte.
     
    PHILIP SLATE – 11. Dezember 1980
    26jähr. lediger weißer Chemiker, der bei DuPont arbeitet – entwickelt neue Pestizide – auffällig gut aussehend, salopp gekleidet, hat aber etwas Adliges an sich, förmlich, sitzt steif da, bewegt sich wenig, keine Äußerung von Gefühlen, ernst, Fehlen
jeglichen Humors, kein Lächeln oder Grinsen, streng sachlich, keinerlei soziale Kompetenz. Überwiesen von seinem Internisten Dr. Wood.
     
    HAUPTBESCHWERDE: »Ich werde gegen meinen Willen von sexuellen Impulsen gesteuert.«
     
    Warum jetzt? »Es reicht«-Episode vor einer Woche, die er wie auswendig gelernt beschrieb.
    Ich kam zu einem beruflichen Treffen nach Chicago, stieg aus dem Flugzeug, stürzte ans nächste Telefon und klapperte meine Liste von Chicagoer Frauen ab, weil ich für den Abend auf ein sexuelles Abenteuer aus war. Kein Glück! Sie hatten alle schon etwas vor. Natürlich hatten sie was vor: Es war ein Freitagabend. Ich hatte gewusst, dass ich nach Chicago kommen würde; ich hätte sie Tage, sogar Wochen vorher anrufen können. Dann, nachdem ich die letzte Nummer aus meinem Buch gewählt hatte, legte ich den Hörer auf und sagte mir: »Gott sei Dank, jetzt kann ich lesen und danach schön schlafen, was ich eigentlich sowieso tun wollte.«
    Patient meint, dieser Satz, dieses Paradox – »was ich eigentlich sowieso tun wollte« – habe ihn die ganze Woche verfolgt und sei der spezifische Grund dafür, dass er eine Therapie beginnen wolle. »Darauf möchte ich mich in der Therapie konzentrieren«, sagt er. »Wenn es das ist, was ich will – lesen und danach schön schlafen –, Dr. Hertzfeld, bitte, warum kann ich es dann nicht tun, warum tue ich es nicht?«
     
    Langsam fielen ihm weitere Einzelheiten aus seiner Arbeit mit Philip Slate ein. Intellektuell hatte Philip ihn fasziniert. Zur Zeit ihrer ersten Begegnung schrieb er gerade an einem Artikel über Psychotherapie und Willen, und Philips Frage – warum kann ich nicht das tun, was ich eigentlich tun will? – war ein spannender Anfang dafür. Und am besten erinnerte er sich an Philips außergewöhnliche Unbeweglichkeit: Selbst nach drei
Jahren wirkte er völlig unberührt und unverändert – und war sexuell ebenso getrieben wie eh und je.
    Was war aus Philip Slate geworden? Er hatte nichts mehr von ihm gehört, seit er die Therapie vor zwanzig Jahren abrupt abgebrochen hatte. Wieder fragte sich Julius, ob er Philip, ohne es zu ahnen, vielleicht doch geholfen hatte. Plötzlich musste er es wissen; es schien ihm eine Sache auf Leben und Tod. Er griff nach dem Telefon und wählte die Auskunft.

»Wollust im Akt der Kopulation. Das ist es! Das ist das
wahre Wesen und der Kern aller Dinge,
das Ziel und Zweck alles Daseyns.« Ref 2
2
    »Hallo, ist da Philip Slate?«
    »Ja, Philip Slate am Apparat.«
    »Hier ist Dr. Hertzfeld. Julius Hertzfeld.«
    »Julius Hertzfeld?«
    »Eine Stimme aus Ihrer Vergangenheit.«
    »Der tiefsten Vergangenheit. Aus dem Pleistozän. Julius Hertzfeld. Ich fasse es nicht – wie lange ist es her? . . . mindestens zwanzig Jahre. Und warum dieser Anruf?«
    »Also, Philip, ich rufe wegen Ihrer Rechnung an. Ich glaube, Sie haben für unsere letzte Sitzung nicht alles bezahlt.«
    »Was? Die letzte Sitzung? Aber ich bin sicher . . .«
    »Das sollte ein Witz sein, Philip. Tut mir Leid,

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