Die schottische Braut
Grunde genommen wollte sie auch selbst das hier gar nicht sehen, und das Letzte, was Jamie gebrauchen konnte, war die Erinnerung an seinen toten Onkel und seinen blutverschmierten Bruder.
Tränen traten ihr in die Augen, aber sie schluckte sie herunter. Sie musste versuchen ein Ereignis zu verstehen, das sich ihrem Verständnis entzog.
Sie kniete sich neben Dermot auf den Boden. »Dermot, erzähl mir, was geschehen ist.«
Inzwischen schluchzte er haltlos.
Callie nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang ihn, sie anzuschauen. »Du musst mir erzählen, was geschehen ist.«
»Ich wollte doch nur Henry gefangen nehmen.« Seine Worte kamen abgehackt und atemlos.
Ihr sank das Herz. »Henry ... den König von England?«
Er nickte.
»Was hast du dir dabei gedacht?«
»Fräser hat mir gesagt, dass er kommen wollte, um diese Sache ein für alle Mal beizulegen«, jammerte Dermot. »Der König würde uns alle am nächsten Baum aufknüpfen lassen. Da habe ich mir gedacht, wenn wir ihn gefangen nehmen könnten, so wie er es mit dir gemacht hat, dass wir ihn dann zwingen könnten, einen Vertrag zu unterzeichnen, dass Schottland den Schotten gehört.«
Seine Schultern erbebten unter der Last seines Kummers und seiner Schuldgefühle. »Die Engländer sind doch alle Feiglinge. Vater hat immer gesagt, ein Schotte könnte es mühelos mit zehn von ihnen aufnehmen. Sonst sind sie immer einfach weggelaufen. Nie ist einer geblieben und hat gegen uns gekämpft.«
Callies Tränen fielen nun ungehindert, während sie die jugendliche Überheblichkeit ihres Bruders betrauerte. Es war hart, auf diese Art und Weise erwachsen zu werden. Sie würde ihre Seele dafür geben, wenn sie diese Nacht ungeschehen machen und ihm seine Unschuld zurückgeben könnte.
»Zuvor hast du Bauern überfallen, Dermot. Keine ausgebildeten Ritter, die geschworen hatten, ihren König zu beschützen.«
»Sie haben wie Teufel gegen uns gekämpft. Überall waren sie zugleich. Hinter uns, vor uns. Wir konnten uns nicht bewegen.«
Sie strich ihm das schlammverkrustete Haar aus der blutverschmierten Stirn, während er mit seinem Bericht fortfuhr. »Aster hat versucht, das Kämpfen zu beenden. Er wollte mich nach Hause holen und ...« Er kniff die Augen zu, als erlebte er im Geiste noch einmal alles mit. »Die Feiglinge haben ihn von hinten erstochen, als er nach mir griff.«
Callie brach das Herz, und sie schloss ebenfalls die Augen. Die Tür zur Halle wurde aufgestoßen. Sie sah auf und erwartete halb, den englischen König auf der Schwelle zu sehen, der Dermots Kopf verlangte.
Doch der war es nicht.
Sin und seine Brüder standen da. An seinem Gesichtsausdruck erkannte sie, dass er bereits von dem Angriff wusste.
Wie erstarrt musterte Sin die Szene, die sich ihm bot.
Dermot hielt Asters Leichnam, während seine Mutter den Arm um seine Schultern geschlungen hatte und weinte. Callie saß neben ihm, die großen Augen dunkel vor Furcht und Gram. Der Anblick ihrer Tränen weckte seinen Zorn.
Und die Laute von Dermots und Mornas Weinen zerrissen ihn innerlich.
»Es war ein Unfall«, erklärte Callie und stand auf. »Er wollte nicht, dass so etwas geschieht.«
Sin schaute sie mit leerem Blick an, verbarg seinen eigenen Kummer vor ihr. »Ich muss mit Dermot reden. Allein.«
Mit einem Nicken zog sie ihre Stiefmutter trotz ihrer Proteste fort.
»Mein Kleiner braucht mich«, weinte Morna und streckte die Arme nach Dermot aus.
Sin warf Callie einen dankbaren Blick zu, dann nahm er Dermot am Arm und zerrte ihn mit sich in die kleine Beratungskammer nahe der Treppe.
Nicht zu sachte setzte er den Jungen auf einen Stuhl, dann ging er und schlug die Tür zu.
»Wasch dir das Gesicht«, sagte Sin mit barscher Stimme. »Wenn du Manns genug bist, eine Armee in die Schlacht zu führen, dann bist du auch Manns genug, hier zu sitzen und nicht wie eine Frau deswegen zu heulen.«
Dermot wischte sich mit dem zerfetzten Ärmel seines Waffenrockes übers Gesicht. Die Geste hatte etwas so Kindliches, dass Sin begriff, genau damit hatte er es zu tun. Mit sechzehn war er selbst bereits kampferprobt und innerlich wie leer gewesen. Der Tod hatte für ihn keine Bedeutung gehabt.
Aber der Junge vor ihm hatte ein völlig anderes Leben geführt. Er war von der ganzen Familie und dem Clan umsorgt und verhätschelt worden. Die kleinen Überfälle waren eher aus Übermut begangen worden, dazu gedacht, den Engländern Angst zu machen, und hatten nur Schaden an Besitz angerichtet.
Heute
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