Die schottische Lady
Luftzug, ein lähmender Schmerz im Nacken. Er glaubte Shawna zu sehen, himmelblaue Augen, ein schönes Engelsgesicht. Und dann die bittere Erkenntnis. Niemals würden ihm die MacGinnis offen gegenübertreten. Denn sie kannten sein Temperament, sein Ehrgefühl, seine Stärke und seine einzige Schwäche - Shawna.
Nein, er sollte nicht verführt, sondern ermordet werden. Die brennende Qual in seinem Hinterkopf ... Keine Folge des kraftvollen Schlags. Hitze hüllte ihn ein. Ringsum loderten Flammen empor. Und er konnte sich nicht bewegen, sah nichts außer der roten Glut. Was für ein Narr ich bin, dachte er. Wie konnte ich so blindlings in diese niederträchtige Falle tappen?
Schrill wieherten die Pferde im Dunkel jenseits des knisternden Feuers, und er hörte einen Schrei. Shawnas Stimme.
Trotz des hellen Flammenscheins versank er in einen schwarzen Abgrund. Bald würde ihn die Finsternis des Todes umfangen ...
Kapitel 1
Castle Rock im schottischen Hochland,
Herbst 1875
Die Nacht war hereingebrochen. Über dem Moor schwebten Nebelschwaden, und ein seltsamer goldener Mond hing am dunklen Himmel. Shawna sah ihn durch einen der schmalen Fensterschlitze im Turmzimmer, durch die man früher Pfeile geschossen hatte, und beobachtete, wie er mit den Wolken Verstecken spielte. Solchen schönen, mysteriösen Mondnächten verdankte das Hochland den Ruf, magische Kräfte zu besitzen.
Um diese Zeit müsste sie schon schlafen. Aber Mark Menzies hatte ihr eine Nachricht geschickt und sie gebeten, ihm ein bisschen Zeit zu opfern, wenn er mit der Arbeit fertig sei. Nun saß sie hinter dem wuchtigen Eichenschreibtisch und hörte ihm zu. Er war Aufseher im Kohlenbergwerk, ein sehr tüchtiger Mann.
»Mylady, die Leute wollen nicht in den Schacht an der linken Seite gehen, weil sie sich einbilden, dort würde eine böse Macht lauem.«
Shawna nickte. Das verstand sie nur zu gut. In dieser Gemeinde lebten ausschließlich Christen. Aber sie glaubten an die heidnischen Geister, und sie würde die Männer nicht zwingen, in einem Stollen zu arbeiten, der ihnen Angst einjagte. » Vielleicht würden sie sich beruhigen, wenn Reverend Massey einen Gottesdienst abhält und den neuen Schacht segnet?«
»Mag sein«, erwiderte Mark, ohne seine Skepsis zu verhehlen. »Sie behaupten, seltsame Geräusche dort unten zu hören. Und in der Erdentiefe würde etwas hausen, das man besser nicht aufscheuchen sollte. «
Er war ein großer, breitschultriger Mann mit zerfurchtem Gesicht, das Stolz und Charakterstärke verriet. Durch sein langes Haar zogen sich vereinzelte graue Strähnen. Shawna mochte ihn seit ihrer frühen Kindheit. Doch sie hatte ihn erst in den letzten fünf Jahren näher kennengelernt. Damals, vor fünf Jahren, war jenes Ereignis eingetreten, das die Einheimischen als >Feuer< bezeichneten. Laird Douglas' älterer Sohn David hatte den Tod gefunden. Danach vertraute der Laird die Ländereien dem Clan MacGinnis an, der ihm am nächsten stand, und lebte hauptsächlich in Amerika.
In der grausigen Nacht des Feuers hatte sich alles verändert. Shawna blieb zunächst in Craig Rock, dem ummauerten Dorf, wo Castle MacGinnis und Castle Craig standen, dann floh sie - von bösen Träumen geplagt nach Glasgow.
Vor fast vier Jahren war sie zurückgekehrt, und seit zwei Jahren festigte sie ihre Position als Oberhaupt der MacGinnis.
Nun hatte der Tod des alten Lairds die Situation erneut verändert. Sein Erbe, der jüngere Sohn Andrew, war ein halber Sioux und in die Kämpfe um seine Heimat verstrickt, denn sein Herz gehörte dem amerikanischen Westen, dem >wilden( Volk seiner Mutter. Als er Shawna bat, die DouglasLändereien für ihn zu verwalten, stimmte sie zu. Und so trug sie nicht nur die Verantwortung für die Mitglieder ihres eigenen Clans, die hier lebten und arbeiteten, sondern auch für die Douglas.
Trotz ihrer vielen männlichen Verwandten hatte sie nach dem Tod des Vaters den MacGinnis-Titel und die Ländereien geerbt. Damals war sie noch sehr jung und auf den Beistand ihres Großonkels Gawain angewiesen gewesen. Davids Tod stürzte sie in tiefste Verzweiflung, und in den folgenden Monaten stand sie Höllenqualen aus. Aber in Glasgow hatte sie erkannt, dass sie nicht vor sich selber davonlaufen durfte. Ihre Welt war das Hochland. Woanders konnte sie nicht leben.
»Hin und wieder neigen wir alle zum Aberglauben«, bemerkte sie. »Das gehört zum liebenswerten Charakter unseres Volkes. Bald beginnt die Nacht der
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