Die Schreckenskammer
bekannt, hatte ich geflüstert, so dass sie es nicht hören konnte. Eine Schneiderin, die ziemlich geschickt ist in ihrem Gewerbe, so sehr, dass sie sogar für Milord persönlich arbeitet, der sehr stolz ist auf seine Erscheinung.
»Zu stolz«, brummte er.
»Sie ist vor der Zeit gealtert«, sagte ich ihm. »Sie war früher eine gut aussehende und kräftige Frau. Man fragt sich …«
Doch dann gewann des Bischofs Ungeduld die Oberhand. »Guillemette, wenn Ihr mir nichts Wichtigeres zu sagen habt als Klatsch, dann werde ich sie jetzt anhören.«
Ich aber platzte unaufgefordert mit meinen Kenntnissen über den Grund ihres Besuches heraus.
»Ihr Sohn dürfte jetzt fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein.«
Kurz spürte ich einen Stich des Bedauerns darüber, wie sehr die Zeit uns doch von unseren liebsten Erinnerungen trennt. »Er war ein wunderschönes Kind und, ach, so kräftig. Wenn die Kindheit es gut mit ihm meinte, dürfte aus ihm ein gut aussehender Junge geworden sein, vielleicht sogar ein ungewöhnlich gut aussehender.«
Madame kam häufig mit Stoffballen und Knopfmustern und anderem Besatz in Milord Gilles’ Gemächer, denn der Herr liebte den Putz, wie Seine Eminenz schnell und missbilligend bemerkte. Eine solche Begegnung hatte sich meinem Gedächtnis unauslöschlich eingeprägt. Milord kam zu spät zu der Verabredung, die er mit Madames Arbeitgeber getroffen hatte – was nicht ungewöhnlich war, denn er liebte das Aufheben, das man um ihn machte, wenn er mit dramatischer Geste hereinrauschte. Madame hatte den kleinen Knaben in die Obhut eines jungen Mädchens gegeben, doch zu der Zeit war er krank und ließ sich kaum beruhigen. Das Mädchen war also gezwungen, ihn wieder hereinzubringen. Kaum hatte Madame ihn beruhigt, stolzierte Milord de Rais ins Zimmer. Sie wandte sich ab, um das Kind zu verstecken, damit sein Anblick ihn nicht beleidige, doch Milord Gilles sah den Jungen. Er ging zu Madame hin und nahm ihn ihr von der Brust. Sogleich fing der Junge wieder an zu schreien, und diesmal so, als würde man ihn quälen.
Milord de Rais wiegte den Jungen in seinen Armen mit einer Begeisterung, die mir Sorgen machte, obwohl ich nicht genau sagen konnte, warum.
»Na, mein kleiner Engel«, sagte er. »Wovor fürchtest du dich? Ich bin doch kein Dämon.« Dann lachte er und verstrubbelte dem Jungen die feinen blonden Haare.
Wie unschicklich diese Aufmerksamkeit war, wenn man es sich recht überlegte – ein mächtiger Herr in der Blüte seiner Männlichkeit, der das Kind einer Geschäftsfrau in den Armen wiegte, obwohl doch viel Wichtigeres auf ihn wartete. Aber damals dachte ich nicht weiter darüber nach, denn das Mädchen trug Madames Kleinen wieder aus dem Zimmer, und hatte ich denn nicht dasselbe mit ebenjenem jungen Herren getan, als er noch ein Säugling gewesen war? Mehr als seine eigene Mutter, wage ich zu behaupten. Dann vertieften wir uns in die Arbeit: Messen, Anprobieren, das Aussuchen von Besatz und Verzierungen – all dies erforderte meine Konzentration so sehr, dass ich meine Besorgnis vergaß. Außerdem mussten wir uns noch um Madame Catherines Garderobe kümmern, denn es ging nicht an, dass Milord prächtig aussah und seine Frau schäbig, auch wenn er, soweit ich oder andere das sehen konnten, kaum Notiz von ihr nahm.
Wie es oft der Fall war, hatten Madame und ich an diesem Tag Höflichkeiten ausgetauscht – allerdings erst, nachdem sich ihre Aufregung über den Vorfall gelegt hatte. Sie hatte wenig Furcht vor jenen, die über ihr standen, denn sie hatte viele Edelleute oft nackt genug gesehen, um mit einer gewissen Ungezwungenheit mit ihnen umzugehen. Jetzt, so viele Jahre später, schien sie diese Ungezwungenheit nicht mehr zu besitzen. Sie stammelte, als man sie sprechen hieß.
»Mein Sohn ist ein Junge von eben sechzehn Jahren, seit letztem Monat.«
Ich hatte mich also richtig an sein Alter erinnert. Der Bischof wirkte verwirrt, und zu Recht – das war keine Angelegenheit für ihn, sondern für den Magistrat. Dennoch fragte er sie: »Was ist denn mit diesem Jungen?«
»Das kann ich nicht sagen, denn er ist einfach verschwunden. Vor dreizehn Tagen sandte ich ihn aus, um eine Kniehose abzuliefern, und er kehrte nicht zurück.«
Ich öffnete den Mund, doch Jean de Malestroit brachte mich mit einem Blick zum Schweigen. Ich wusste, was er dachte, dass der Junge einfach ausgerissen war, wie Jungen es manchmal tun, oder dass er das Geld, das er erhalten hatte, vertan oder verloren
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