Die Schreckensteiner auf der Flucht
Direktionstisch und verbeugten sich. Der Rex strahlte, als hätten die elf soeben das Abitur mit eins bestanden.
„Unser Geburtstagskind hat sich sehr über euer Ständchen gefreut!“ sagte er.
Das Geburtstagskind nickte. „Und zum Dank dafür sollt ihr jetzt den Geburtstagskuchen mit mir teilen. Setzt euch!“
Mit frischer weißer Schürze kam Fräulein Anna herein, stellte den Zwiebelkuchen auf den Tisch und gratulierte. Ziem-Vieh sparsam, wie die Ritter fanden. Die beiden Fräuleins waren einander nicht sonderlich gut gesonnen. Aber sie taten so, als sei alles in bester Ordnung. Die Anna ging, das Geburtstagskind schnitt den Kuchen an und verteilte die Stücke.
„Ihr habt mir mit eurem Ständchen nicht nur eine große Freude, sondern auch eine große Überraschung bereitet. Meine Mädchen sind noch nie auf so eine Idee gekommen.“
Das liegt wahrscheinlich an dir! dachten sich die Ritter. Stephan war an der Reihe und hielt seinen Teller hin. Das Geburtstagskind sah ihn an.
„Bist du nicht der Junge, der die Gräfin verunglimpfen wollte?“
„Ich wollte die Gräfin nicht verunglimpfen!“ antwortete Stephan wahrheitsgemäß.
„Nun“, sagte Fräulein Doktor Horn und schaute wieder freundlich drein, „jedenfalls scheinst du im Grunde doch ein netter Junge zu sein, sonst wärst du nicht bei diesem Chor.“
Der Zwiebelkuchen schmeckte ziemlich mittelprächtig. Mit Liebe hatte ihn Fräulein Anna nicht gebacken.
„Hm, köstlich! So gut war er noch nie!“ lobte das Geburtstagskind mit vollem Mund, und der Rex nickte, als sei er seit Jahren Geburtstagsgast auf Schloss Rosenfels. Aufrecht saßen die Ritter auf ihren Stühlen. Sie hatten die Kleinigkeit längst verdrückt und warteten, bis das Geburtstagskind sich wieder beruhigt hatte.
„So!“ sagte Fräulein Doktor Horn und kaute ein letztes Mal. „Diesen Genuss habt ihr euch redlich verdient. Nur eine Frage hätte ich noch: Wie seid ihr eigentlich daraufgekommen, ausgerechnet ein Lied aus meiner Heimat zu singen?“
Die Ritter schauten recht verdutzt, bis zur allgemeinen Überraschung Dampfwalze sagte: „Das wissen wir von Ihrem Landsmann Doktor Schüler!“
„Ach!“ sagte Fräulein Doktor Horn und ihre Miene hellte sich wieder auf. „Doktor Schüler ist ein Landsmann von mir? Das wusste ich gar nicht.“
„Bei den Schreckensteiner Lehrern ist das längst bekannt“, sagte der Rex und sah aus, als flunkere er ein bisschen. Fräulein Doktor Horn lächelte vor sich hin.
„Da muss ich mal mit Doktor Schüler sprechen! Ich kenne noch viele Volkslieder aus unserer Gegend!“ Sie stand auf und gab dem Rex die Hand. „Ich sehe, Direktor Meyer, ihre Erziehung da drüben hat versteckte Vorzüge. Sehr versteckte, bisweilen.“
Auch die Ritter erhoben sich, Stephan trat Dampfwalze mit dem Knie ins Hinterteil und flüsterte: „Vergiss jetzt bloß nicht, Schüler zu verständigen, damit der weiß, was er gesagt hat.“
Die Ständchensänger durften sich verabschieden. Hans-Jürgen trat vor, nahm die Hand, die ihm Fräulein Doktor Horn entgegenhielt, beugte sich darüber, zielte und gab ihr einen Handkuss. Da jubelte das Geburtstagskind:
„Ihr seid ja Kavaliere! Richtige Kavaliere seid ihr!“ Alle folgten Hans-Jürgens Beispiel, zu dem eigentlich Stephan die Idee gehabt hatte. Mancher holte sich einen Nasenstüber, doch das konnte den Erfolg nicht mehr mindern.
Lehreruhren gehen falsch
Fräulein Doktor Horns Lieblingsidee, die Schreckensteiner gewissermaßen unter Verschluss zu halten, hatte sich nicht verwirklichen lassen. Nachdem in den ersten Tagen versucht worden war, im Wirtschaftsgebäude Unterricht abzuhalten, musste sie nachgeben. Der Rex wollte endlich geregelte Stunden in dafür eingerichteten Räumen. Da die Klassenzimmer zwar für eine, nicht aber für zwei Schulen ausreichten, wurde Schichtunterricht eingeführt: eine Woche die Mädchen vormittags, die Jungen nachmittags, die nächste Woche umgekehrt. Und so fort. Schichtunterricht bedeutete, dass die Türen nicht mehr abgeschlossen werden konnten. Von nun an gingen die Ritter im Schloss aus und ein.
Die Schreckensteiner Lehrer und der Rex wohnten weiterhin in ihren heizbaren Zimmern auf der Burg und fuhren zum Unterricht herüber. Nur jeweils ein Lehrer blieb den ganzen Tag und auch über Nacht bei den Rittern. Zur „Aufsicht“, das heißt zur Beruhigung von Fräulein Doktor Horn. Sie hätte nie verstanden, dass die Ritter eine kameradschaftliche Beziehung zu
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