Die Schreckensteiner auf der Flucht
Kleineren. „Da brauchen wir wenigstens nicht zu reden mit den Hühnern.“
Die Größeren gewannen den Andachten andere Reize ab. Dampfwalze, mit seidenem Schal, setzte sich neben Ingrid und die Mitglieder der Band machten sich einen Spaß daraus, die Chorgesänge um Harmonien zu bereichern, die vom Komponisten nicht vorgesehen waren.
Fräulein Doktor Horn verlor nie ein Wort über diese eigenwilligen Klangbilder.
„Die Horn hat’s gut, die ist unmusikalisch“, sagte Beatrix, die auch dem Chor angehörte, einmal nach einer besonders „schrägen“ Harmonie.
Die neue Gemeinsamkeit förderte manche Überraschung zutage. Ausgerechnet der unsportliche Musterknabe Strehlau wuchs sich beim Handball zu einem wahren Torjäger aus. Er, der bisher um jeden Sport einen großen Bogen gemacht hatte, war plötzlich nicht mehr zu halten. Das kam natürlich auch daher, dass die Ritter mit den Mädchen nicht so hart umgehen konnten, wie sie das zu tun pflegten, wenn sie unter sich spielten. Eine weitere Neuerung war die, dass in manchen Fächern probeweise gemeinschaftlich unterrichtet wurde. Mit den Mädchen in der Klasse zu sitzen war eigentlich ganz lustig. Jedenfalls flogen unablässig Papiergeschosse durch die Luft.
Eines Tages sollte die erste gemeinsame Klassenarbeit geschrieben werden. In Erdkunde. Gießkanne kritzelte die Aufgaben an die Tafel. Dann sagte er, was er auf der Burg in solchen Fällen zu sagen pflegte: „Ich gehe jetzt. Wer fertig ist, legt sein Heft auf meinen Tisch. Der letzte bringt sie ins Lehrerzimmer. Ich wünsche euch viel Erfolg bei der Arbeit.“ Er nickte und verließ das Zimmer. Die Mädchen staunten.
„Ist ja prima!“ freute sich Sophie. „Strehlau, wenn du uns diktierst, sind wir in zehn Minuten fertig. Los, fang an!“
„Seid still, ihr Gören!“ zischte Werner. „Gießkanne vertraut uns, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht — also geht hier alles mit rechten Dingen zu! Verstanden?“
Die Mädchen taten keinen Mucks mehr. Ohne einen Seitenblick in Nachbarhefte machten sie ihre Arbeit.
„Hätt ich nie gedacht, dass wir so was mitmachen!“ wunderte sich Beatrix nach der Stunde. „Dabei ist es eigentlich ganz vernünftig. So weiß man, was man selber kann und braucht nicht so viel Angst vor Prüfungen zu haben.“
Die Mädchen lernten von den Rittern, und die Ritter sahen manches anders durch die Mädchen. Ohne Zweifel hatte die gegenseitige Anpassung ihre Vorteile. Aber nicht nur.
„Es wird Zeit, dass ein neues ,Wappenschild’ erscheint!“ sagte Mücke zu Andi, Hans-Jürgen und Strehlau. Von nun an trafen sich die vier regelmäßig zu geheimen Redaktionskonferenzen im ehemaligen Hühnerstall. Nachdem nicht nur alles besprochen, sondern auch geschrieben war, flitzten sie, von niemandem bemerkt, in einer mondklaren Nacht über den Kappellsee. Auf Schlittschuhen. Dick vermummt arbeiteten sie in dieser und den beiden folgenden Nächten in ihrer eiskalten Redaktion. Mücke tippte, Andi vervielfältigte, Hans-Jürgen ordnete die Blätter und Strehlau heftete sie zusammen. In erhöhter Auflage. Denn auch die Mädchen sollten mit Exemplaren versorgt werden. Anderntags nach dem Mittagessen war die Überraschung groß. Von den Schreckensteinern hatte niemand damit gerechnet. Man befand sich im Exil und da war nicht alles wie sonst. Und die Mädchen fühlten sich, da sie mit bedacht worden waren, gewissermaßen als kleine Schreckensteiner. Doch die reine Freude überdauerte die Ruhepause nach dem Essen nicht. Mückes Lokalbericht war schon eine recht harte Nuss. Da stand unter anderem schwarz auf weiß:
...Wenn die Mädchen von uns lernen, nicht mehr abzuschreiben, solange sie mit uns in der Klasse sitzen, ist das ganz in Ordnung. Wenn wir beim Handball Rücksicht nehmen auf das „schwache Geschlecht“, so geht das auch in Ordnung. Aber es gibt zum Glück nicht nur Mädchen auf der Welt, und vieles, was erst ohne sie richtig Spaß macht. Wo bleibt unsere Härte? Noch niemand ist auf die Idee gekommen, den Dauerlauf wieder aufzunehmen! Nichts geschieht, was Kondition und Mut verlangt! Wir sind ein schlapper Verein geworden. Manche Ritter würden am liebsten den ganzen Tag mit den Mädchen vor der Heizung sitzen und schwatzen...
Dieser Artikel konnte nicht ohne Folgen bleiben.
„Sprich nicht mit mir, sonst wirst du verweichlicht!“ sagte Ingrid am Abend zu Dampfwalze. Stephan wurde von Beatrix aufgezogen.
„Darf ich dir guten Appetit wünschen, oder schadet das
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