Die Schriften von Accra (German Edition)
was sich jenseits der Schleier befindet.
Sie lassen uns unversehrt aus dem Tal der Schatten und des Todes heraustreten, aber sie sagen uns nicht, welcher Weg uns zu den Bergen der Freude und des Lichts führt.
Wunder öffnen Türen, zu denen niemand einen Schlüssel hat.
Sie umgeben die Erde mit Planeten, damit diese sich im Universum nicht allein fühlt. Und sie verhindern, dass die Planeten der Sonne zu nahe kommen, damit sie nicht von ihr verschlungen werden.
Sie verwandeln Getreide durch Arbeit in Brot, die Trauben durch Geduld in Wein und den Tod in Leben durch die Auferstehung der Träume.
Daher gib uns heute unser tägliches Wunder, Herr.
Und vergib uns, wenn wir es nicht immer erkennen können.«
Und ein Mann, der die Schlachtengesänge
der Kreuzritter vor den Mauern hörte
und um sein Leben und das seiner Familie
fürchtete, bat:
»Sprich zu uns über Angst und die
Bangigkeit des Herzens.«
U nd der Kopte antwortete:
»An einem bangen Herzen ist nichts Falsches. Der Mensch kann zwar Gottes Zeit nicht beeinflussen, dennoch möchte er, dass sich seine Wünsche möglichst schnell erfüllen.
Und er möchte, was ihm Angst einflößt, möglichst schnell beseitigen.
Von Kindheit an bis zu dem Augenblick, in dem er das Leben mit Gleichmut betrachtet. Denn solange wir an die Gegenwart gebunden sind, werden wir immer jemanden oder etwas bang erwarten.
Wie soll man einem verliebten Herzen sagen, es solle ruhig sein und still die Wunder der Schöpfung betrachten, frei von Anspannung, Ängsten und Fragen, auf die es keine Antwort gibt?
Angst gehört zur Liebe, und es sollte ihr daraus kein Vorwurf gemacht werden.
Wie soll man jemandem, der sein Leben und sein gesamtes Hab und Gut einem Traum verschrieben hat und immer noch auf dessen Erfüllung wartet,sagen, er solle keine Angst haben? Auch wenn der Bauer den Lauf der Jahreszeiten nicht beschleunigen kann, um die Früchte dessen, was er gepflanzt hat, zu ernten, so wartet er doch ungeduldig auf den Herbst und die Ernte.
Wie soll man einen Krieger bitten, vor einem Kampf nicht innerlich unruhig zu sein?
Er hat für diesen Augenblick bis zur Erschöpfung geübt und sein Bestes gegeben, er glaubt, vorbereitet zu sein, ist aber von Angst erfüllt, all seine Mühen könnten umsonst gewesen sein.
Die Bangigkeit des Herzens ist dem Menschen angeboren. Und da wir sie niemals werden beherrschen können, müssen wir lernen, mit ihr zu leben – so wie der Mensch gelernt hat, mit Unwettern zu leben.
Doch für jene, denen es nicht gelingt, ihre Ängste zu beherrschen, wird das Leben ein Alptraum sein.
Das, wofür sie stündlich dankbar sein sollten, wird zu einem Fluch. Sie möchten, dass die Zeit schneller vergeht, ohne zu begreifen, dass sie dann auch schneller dem Todesengel begegnen werden.
Und schlimmer noch: Um die Angst zu vertreiben, tun sie Dinge, die ihre Angst noch vergrößern.
Die Mutter, die auf die Heimkehr ihres Kindes wartet, beginnt, sich das Schlimmste auszumalen.
Der Liebende klagt: ›Meine Liebste gehört mir und ich gehöre ihr. Als sie gegangen ist, habe ich sie in den Straßen der Stadt gesucht und nicht gefunden.‹ Und an jeder Straßenecke, an der er vorbeikommt, und mit jedem Menschen, den er fragt und der ihm keine Auskunft über sie geben kann, verwandelt sich die Sorge um seine Liebste in Verzweiflung.
Dem arbeitenden Menschen, der sich, während er auf die Früchte seiner Mühen wartet, mit anderen Aufgaben beschäftigt, werden so noch mehr Augenblicke des Wartens beschert. Aus einem Augenblick bangen Wartens werden viele, und er wird nicht mehr imstande sein, in den Himmel zu sehen, zu den Sternen zu blicken oder seinen Kindern beim Spielen zuzuschauen.
Die Mutter, der Liebende und der arbeitende Mensch hören auf, ihr Leben zu leben. Sie rechnen nur mit dem Schlimmsten, hören auf Klatsch und Tratsch, klagen darüber, wie langsam die Zeit vergeht, und mäkeln an allem und allen herum. Außerdem ernähren sie sich schlecht, essen entweder zu viel oder bekommen nichts herunter. Und wenn sie nachts ihren Kopf aufs Kissen legen, finden sie keinen Schlaf.
Dann webt die Angst einen Schleier, durch den sie alles nur noch verzerrt sehen.
Und die Augen der Seele trüben sich, weil sie nie zur Ruhe kommen.
In diesem Augenblick nistet sich einer der schlimmsten Feinde des Menschen ein: die Besessenheit.
Die Besessenheit kommt und sagt:
›Dein Schicksal gehört von nun an mir. Ich werde dafür sorgen, dass du Dinge suchst, die es
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