Die Schuld des Anderen
Regenmantel. Dem kleinen Schlafzimmertresor entnahm er ein dickes Paket Banknoten und ließ es in seine Tasche gleiten. Prüfend sah er sich im Zimmer um - sein Blick fiel auf den Anzug, den er ausgezogen hatte. Eilig legte er ihn über einen Bügel und hängte ihn in den Kleiderschrank. Dann verließ er das Zimmer, verschloß die Tür und eilte die Treppe hinunter. Vorsichtig öffnete er die Haustür und trat auf die Straße.
Ohne nach rechts und links zu sehen, machte er sich mit schnellen Schritten auf den Weg Er vermied belebte Straßen, machte verschiedene Umwege und gelangte schließlich zur Kings Road in Chelsea. Gleich darauf bog er in eine Gasse ein, die zum Themseufer führte.
Es hatte zu regnen begonnen. Schwarz lag der Fluß vor ihm, Nebelschwaden trieben über die Wasseroberfläche. Das grüne und das rote Licht eines Schleppdampfers schimmerte schwach durch den milchigen Dunst.
Bell ging am Ufer entlang, bis er zu einer kleinen Treppe kam, die direkt zum Fluß hinunterführte.
Ein Ruderboot hatte dort angelegt. Zwei Leute in glänzendem Ölzeug saßen auf den Ruderbänken.
»Lauder!« rief Bell.
»Jawohl, Sir!« antwortete eine Stimme, und das Boot wurde mit einem Ruderschlag unmittelbar an die Treppenstufen gebracht. »Geben Sie mir Ihre Hand, Sir!«
Bell packte die Hand, die sich nach ihm ausstreckte, und sprang gewandt ins Boot. Die beiden Männer ruderten mit weitausholenden, kräftigen Schlägen auf die Flußmitte zu.
»Wir sind da! Hier liegt die ›Seabreaker‹.«
Der ältere der beiden Männer zeigte auf einen Schlepper, der direkt vor ihnen lag. Es war ein großes, solid gebautes Schiff, das durchaus auch auf offener See fahren konnte.
Das Boot legte auf der Steuerbordseite an und machte an einem Tau fest. Bell kletterte eine Strickleiter hinauf und schwang sich, oben angelangt, über die Reling.
»Sie müssen unbedingt ein ordentliches Fallreep beschaffen, Captain«, sagte er.
Lauder, ein kräftiger, untersetzter Mann mit dichtem, graumeliertem Vollbart, legte die Hand an den Südwester.
»Ich habe es schon in Auftrag gegeben, Sir.«
»Es wäre mir lieb, wenn Sie dafür sorgten, daß es schon morgen angebracht wird. Ich möchte mir jetzt das Schiff ansehen.«
Der Schlepper war ganz neu. Eine Reihe von Lampen beleuchteten das Oberdeck. Achtern, wo sich sonst die Vorrichtungen zur Befestigung der Schleppseile befinden, war das große, breite Deck in einen mit Glaswänden abgeschlossenen, geschmackvoll eingerichteten Aufenthaltsraum umgewandelt worden.
Bell stieg die Leiter zur Kommandobrücke hinauf und besichtigte die dahinterliegenden Räume. Die beiden Einzelkabinen waren freundlich möbliert. Unter dem einen Fenster stand ein Bett, unter dem andern ein Schreibtisch. Der Fußboden war mit einem hübschen Teppich ausgelegt. Außer durch die Seitenfenster erhielten die Kabinen auch noch von oben Licht. Die Decken bestanden aus Milchglas. Eine schmale Tür führte in ein kleines, luxuriös ausgestattetes Badezimmer.
Zum Schluß suchte Bell den Salon auf. An einer Wand stand ein großes Bücherregal. Tischchen, Sessel, ein breites Sofa und ein Teppich vervollständigten die Einrichtung.
»Kommen Sie herein, Captain Lauder!« rief Bell durch die offenstehende Tür.
Lauder, der draußen gewartet hatte, trat ein.
»Bitte, nehmen Sie Platz! Sie kennen also Ihre Instruktionen genau?«
»Jawohl, Sir.«
»Sind Sie mit dem Schiff zufrieden?«
»Vollkommen. Ich bin letzte Woche damit bei starkem Südwest in die Nordsee gefahren, und das schlechte Wetter hat ihm nicht das geringste anhaben können.«
»Wie steht es mit der Besatzung?«
»Sie ist unbedingt zuverlässig, Sir. Ich habe meine beiden Söhne mit an Bord genommen. Sie haben vor einiger Zeit ihr Steuermannsexamen gemacht. Unten im Maschinenraum arbeitet mein Bruder Georg mit seinem Sohn und einem weiteren befreundeten jungen Mann.«
»Dann ist ja fast die ganze Familie beisammen?« Bell lächelte. »Aber am Ende hängt doch alles von Ihnen ab, Lauder!«
»Sie können sich auf mich verlassen«, sagte der Kapitän. »Ich werde nie vergessen, was ich Ihnen verdanke.«
»Ich selbst bin Ihnen zu Dank verpflichtet, aber darüber wollen wir nicht mehr reden. Wenn Sie das Fallreep angebracht haben, fahren Sie nach Gravesend hinunter und warten dort weitere Befehle ab. Sie können ruhig an Land gehen, bis ein Telegramm von mir eintrifft. Dann tun Sie alles, was in dem versiegelten Brief steht, den ich Ihnen gegeben habe. Und
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