Die Schuld des Anderen
er, »daß sie alle gefälscht sind - und zwar meisterhaft. Darf ich einmal sehen, was der Mann sonst noch bei sich trug?«
Es waren vor allem Kreditbriefe auf kleinere Beträge und Empfehlungsschreiben von einflußreichen Persönlichkeiten in New York. Gold interessierte sich nicht sehr dafür, weil er wußte, wie leicht so etwas zu bekommen war. Unter den Briefen entdeckte er ein Notizbuch mit Eintragungen, die hauptsächlich Hotels und Pensionen betrafen. Wichtiger erschien ihm eine kleine Liste von Firmen, von denen er wußte, daß sie große Geldgeschäfte tätigten. Am aufschlußreichsten war jedoch ein Briefumschlag, auf dem die Adresse des Festgenommenen stand. Er wohnte im Palace Hotel. Die Adresse war von Hand geschrieben, und das längliche Kuvert war mit einer englischen Briefmarke versehen und in London aufgegeben worden.
Gold wandte sich an seinen französischen Kollegen.
»Haben Sie das Hotel unter Bewachung, gestellt?«
Der andere nickte.
»Ich glaube zwar nicht, daß viel dabei herauskommt«, meinte Gold. »Vermutlich arbeiten sie immer nach der gleichen Methode - die gefälschten Noten werden in kleinen Mengen an die Agenten verschickt, die sie unterbringen müssen. Nach einiger Zeit kommt dann wieder ein kleines Paket.«
»Glauben Sie, daß eine neue Sendung an diese Adresse zu erwarten ist?« fragte der französische Beamte.
»Nein, das glaube ich unter keinen Umständen. Für den Fall einer Verhaftung sind bestimmt Sicherungen eingebaut - es ist anzunehmen, daß neue Sendungen erst erfolgen, nachdem der Agent einen Teil seines Erlöses an die Zentrale abgeliefert hat. Sie brauchen also nicht zu hoffen, daß noch etwas eintrifft.«
Gold nahm die gefälschten Scheine wieder in die Hand und betrachtete sie noch einmal sehr aufmerksam.
»Ein hervorragender Druck -«, sagte er. Dann starrte er plötzlich auf eine Ecke des Scheins, den er gerade in Händen hielt. »Entschuldigen Sie einen Augenblick!« rief er aus und trat schnell ans Fenster.
Ein grauer Himmel lag über Paris, und das Licht war schlecht. Trotzdem sah Gold jetzt, daß von der einen Schmalseite der Banknote zur anderen eine merkwürdige Linie verlief, die nur auf den ersten Blick in die verschlungene Gravierung zu gehören schien.
»Kann ich eine helle Lampe und ein Vergrößerungsglas haben?« fragte er.
Der Franzose knipste die Schreibtischlampe an und holte aus einer Schublade ein starkes Vergrößerungsglas.
Gold strich die Note glatt und prüfte sie durch das Glas. Plötzlich pfiff er leise vor sich hin, das Blut schoß ihm ins Gesicht, und seine Augen glänzten.
»Hier - sehen Sie mal her!« rief er triumphierend, gab dem andern das Glas und bezeichnete mit dem Fingernagel die betreffende Linie, die eigentlich gar keine Linie, sondern eine mit unglaublicher Geschicklichkeit eingravierte Schriftzeile war und folgendermaßen lautete:
›Verity Maple, 942 Crystal Palace Road, London. Banknoten Nr. 687 642 - 687 653. Milch anwenden.‹ Der Franzose sah Gold verblüfft an.
»Was soll das heißen?« fragte er aufgeregt.
Gold war ans Fenster getreten und schaute hinaus.
»Ich glaube, ich verstehe den Sinn«, sagte er nach einiger Zeit. »Ich hoffe es wenigstens.«
»Aber wer hat das eingraviert?«
»Dafür kommt nur ein Mann in Frage - Tom Maple!« antwortete Gold.
23
Helder fuhr durch den prasselnden Regen zu seinem Landhaus. Er steuerte den Wagen selbst, Tiger Brown saß neben ihm. Keiner sprach während der ganzen Fahrt ein Wort.
Helder hatte die abgelegene Farm, die von Cambridge aus nur auf einer staubigen, ungepflasterten Landstraße zu erreichen war, günstig erwerben können. Nach dem Tod des früheren Besitzers, eines exzentrischen Landwirts, wollten die Erben das Grundstück, das ein Bauernhaus und hundert Morgen minderwertiges Ackerland um-faßte, möglichst schnell loswerden. Sie beauftragten einen Grundstückmakler, und zur größten Überraschung der Erben und des Maklers fand sich in kürzester Zeit ein Interessent, der das Gut auf Anhieb kaufte, und dem das Haus und die brachliegenden Felder unbegreiflicherweise sehr zu gefallen schienen. Helder kümmerte sich um die Felder überhaupt nicht, sondern ließ nur das Haus reparieren, frisch streichen und zum Teil neu möblieren. Der düstere Gesamteindruck, der durch die dicken Mauern und die vergitterten Fenster unterstrichen wurde, brachte es mit sich, daß man unwillkürlich an ein Gefängnis denken mußte. Auch innen wirkte das Haus nicht gerade
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