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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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tun kann, aber bitte, ich flehe dich an, sieh mich nicht so an; ich gäbe alles, um …«
    »Man gibt nur, was man hat, wenn überhaupt … Alles hast du sowieso nicht … Und was brächte das schon. Man fängt kein neues Leben an. Und mir hat das Leben sehr viel mehr genommen, als es mir je zurückgeben könnte.«
    »Es tut mir so leid.«
    »Das sind nur Worte. Ich glaube, das habe ich dir schon einmal gesagt.«
    Mein Kummer war so groß, dass er mich völlig ausfüllte und keinen Platz für Wut oder Unmut ließ.
    Gegen alle Erwartung hellte sich ihr schwarzer Blick ein wenig auf, entspannten sich ihre Züge. Sie sah mich lange an, als ginge sie weit, weit in die Vergangenheit zurück, um mich wiederzufinden. Zuletzt kam sie auf mich zu. Der Duft ihres Parfums umschwebte mich. Sie nahm mein Gesicht in beide Hände, wie einst meine Mutter, wenn sie mich auf die Stirn küsste. Émilie küsste mich nicht. Nicht auf die Wangen, nicht auf die Stirn. Sie sah mich nur an. Ich spürte ihren Atem flattern. Ich hätte mir gewünscht, bis zum Tag des Jüngsten Gerichts in dieser Haltung zu verharren.
    »Niemand ist schuld, Younes. Und du bist mir auch nichts schuldig. Die Welt ist, wie sie ist. Und sie reizt mich nicht mehr.«
    Daraufhindrehte sie sich um und setzte ihren Weg fort.
    Ich blieb auf dem Bürgersteig zurück, wie vor den Kopf geschlagen, und sah ihr nach, als sie aus meinem Leben trat. Wie eine Zwillingsseele, der es in meinem Körper zu eng geworden war.
    Es war das letzte Mal, dass ich sie sah.
    Noch am selben Abend habe ich das Schiff nach Algerien genommen und bis zum heutigen Tag keinen Fuß mehr auf französischen Boden gesetzt.
    Ich habe ihr Briefe geschrieben, ihr zu jedem Fest Grüße geschickt … Sie hat mir nie geantwortet. Ich sagte mir, vielleicht ist sie fortgezogen, möglichst weit fort von ihrer Erinnerung, und vielleicht ist es so am besten. Ich habe ihr lange nachgetrauert, habe mir ausgemalt, was wir wohl getan hätten, wären wir zusammengeblieben: unsere Wunden geheilt, das Unglück von sich selbst befreit, alte Dämonen verjagt. Doch Émilie hatte davon nichts wissen wollen, sie wollte kein neues Kapitel mit mir aufschlagen, keinen Schmerz begraben, keine Trauer überwinden. Die wenigen Minuten, die sie mir in dieser sonnendurchfluteten Straße zugestanden hatte, waren genug, um mich erkennen zu lassen, dass manche Türen den Schmerz in einen Abgrund verwandeln, wenn sie zufallen, einen Abgrund, den selbst das göttliche Licht nicht zu erhellen vermag … Ich habe Émilies wegen sehr gelitten, mir ihren Kummer zu Herzen genommen, ihren Verzicht, ihren Rückzug in das eigene Drama. Dann habe ich versucht, sie zu vergessen, in der Hoffnung, auf diese Art das Übel, das in uns festsaß, zu bändigen. Ich wollte mich mit den Tatsachen abfinden, mich in das fügen, was mein Herz partout nicht akzeptieren konnte. Das Leben ist ein Zug, der an keinem Bahnhof hält. Entweder man springt in voller Fahrt auf, oder man steht da und sieht ihn vorüberbrausen, und es gibt wohl nichts Tragischeres als einen Geisterbahnhof. War ich danach jemals glücklich gewesen? Ich glaube ja. Ich habe unvergessliche Momente und Freuden erlebt, habe wieder geliebt und geträumt, in mitunter kindlichem Überschwang. Dennochkam es mir immer so vor, als ob in meinem Puzzle ein Teil fehlte, etwas nicht wirklich an seinem Platz war, als ob irgendwo ein Vakuum wäre, etwas mich gleichsam verstümmelte: kurz, als wäre ich nur auf der äußeren Umlaufbahn des Glücks unterwegs.
    Das Flugzeug setzt unter Motorengedröhn langsam auf dem Rollfeld auf. Mein junger Nachbar weist mich auf die Glasfassade des Flughafens hin, dahinter warten andere Flieger, gigantischen Paradiesvögeln gleich, auf ihren Abflug, die Nase an der Passagierbrücke. Eine Lautsprecherstimme informiert uns über die Außentemperatur und die örtliche Uhrzeit und dankt uns, weil wir mit Air Algérie geflogen sind, dann rät sie uns eindringlich, angeschnallt sitzenzubleiben, bis die Maschine gänzlich zum Stillstand gekommen ist.
    Der junge Mann trägt mir die Tasche, gibt sie mir vor dem Schalter der Grenzpolizei wieder zurück. Nachdem die Zollformalitäten erledigt sind, zeigt er mir den Ausgang und entschuldigt sich dafür, dass er mich nun verlässt, da er sein Gepäck abholen muss.
    Die Schiebetür aus Milchglas öffnet sich zur Wartehalle hin. Hinter einer gelben Linie drängen sich die Leute, können es kaum erwarten, ein vertrautes Gesicht im Strom

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