Die Schuld einer Mutter
Pfusch) unterwegs.
Einen Moment lang gerate ich in Panik und denke an den Bus, der zu schnell in die Kurve hineinfährt, über die Fahrbahn hinausschießt und ins Tal stürzt.
Ich stelle mir vor, wie der Kleinbus sich immer wieder überschlägt und zuletzt mit einer John-Deere-Heupresse kollidiert. Die Fenster bersten, und meine Kinder hängen leblos angeschnallt auf ihren Sitzen wie Chrashtest-Dummies.
Ich schaudere.
Endlich reagiert Sam auf meine Frage zum Thema »gebührenpflichtiges Spielen«: »Wie bitte?«
»Du hast mich verstanden.«
Widerwillig erklärt er: »Nicht alle müssen bezahlen«, und ich kann heraushören, dass er weniger reumütig als enttäuscht ist. Vermutlich hat er gedacht, er könnte sich auf diese Weise sein Leben finanzieren, und nun merkt er an meinem Tonfall, dass sein Geschäftsmodell vorerst gescheitert ist.
Ich wende mich ihm zu. »Ich verstehe nicht, warum diese Kinder dich überhaupt bezahlen. Warum geben sie dir Geld, anstatt einfach allein oder mit anderen Kindern zu spielen?«
»Keine Ahnung«, sagt er unschuldig, wirft mir aber einen schelmischen Blick zu. Ein Blick, der sagt: Ich weiß es sehr wohl. Weil sie Idioten sind, warum sonst.
Fünf Minuten später halten wir vor der Schule. Ich schaue nach, ob Kates Auto an der üblichen Stelle neben dem Schultor parkt, aber sie ist noch nicht da. Ich mag sie, aber dass sie darauf besteht, sich jeden Tag in der Schule zu zeigen, nervt wirklich. Weil es, ehrlich gesagt, keinen Grund dafür gibt.
Ihr Sohn Fergus ist schon fast acht. Er wäre durchaus in der Lage, sich Mantel und Schuhe allein auszuziehen, in seine Hausschuhe zu steigen und das Klassenzimmer zu finden. Die Schule hat nur achtzig Schüler. Er wird sich schon nicht verlaufen. Aber Kate ist eine von diesen Müttern, die gern mit der Lehrerin plaudern. Sie schaut sich gern an, wie Fergus in Zeitlupe seine Schuhe abstreift, und sie verdreht die Augen, wenn andere Mütter ihre Kinder händeklatschend zur Eile antreiben: »Nun komm schon, hopp-hopp! Beeil dich! Gib Mummy die Stiefel!« Kate hat keinen richtigen Job. Sie und ihr Mann können bequem von der Vermietung ihrer Ferienhäuser leben. Wenn Kate nach Hause kommt, hat sie nicht mehr zu tun, als die Waschmaschine anzuwerfen und Dankeskarten an Leute zu schreiben, die sie eigentlich nicht leiden kann.
Ich beneide Kate.
So, nun ist es raus.
Ich habe eine Weile gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Früher konnte ich es mir nicht eingestehen. Früher habe ich Joe ständig die Ohren vollgejammert. Ich habe ihm rund um die Uhr vorgeworfen, dass ich Vollzeit arbeiten muss, dass ich chronisch übermüdet bin, dass ich …
Mein Handy klingelt.
Ich ziehe es aus der Tasche und sehe Sallys Nummer. Vielleicht hat sich der Kleinbus verspätet. Vielleicht will der Motor in der Kälte nicht anspringen.
»Hey, Sal, was gibt’s?«
Sally weint. Die Schluchzer würgen sie. Sie bringt kaum ein Wort heraus.
»Mum?« Ich höre Geräusche im Hintergrund, lautes Weinen, Autoverkehr. »Mum … etwas Schreckliches ist passiert.«
3
D etective Constable Joanne Aspinall ist schon fast im Hauptquartier, als die Vermisstenmeldung sie erreicht. Ein Mädchen, dreizehn Jahre alt und ein naives Landei noch dazu. Joanne fragt sich, ob nicht alle Teenager in diesem Alter im Grunde ihres Herzens naiv sind. Würde sie den Fall anders angehen, wenn das Mädchen frühreif wäre? Was, wenn es tatsächlich gewohnt wäre, bis spätabends allein unterwegs zu sein? Würde das irgendetwas ändern? Wären die Ermittlungen dann weniger dringlich?
Vermisst ist vermisst. Man sollte da nicht weiter unterscheiden.
Aber als Joanne schließlich das Foto sieht, schüttelt es sie. Ja, dieses Mädchen sieht wirklich sehr jung aus für sein Alter. Erstaunlich jung, um ehrlich zu sein. Und Joanne weiß – auch wenn sie das niemals laut aussprechen würde –, dass vor allem jene Dreizehnjährigen, die sich mit Push-up-BHs und hohen Stiefeln in der Gegend herumtreiben, ganz von allein wieder auftauchen. In der Regel kehren sie zerknirscht und bedröppelt nach Hause zurück, sie schämen sich und wünschten, sie hätten ihre Eltern nicht dieser Tortur ausgesetzt. Denn letztendlich wollten sie sich nur etwas beweisen.
Joanne war als Teenager nicht anders gewesen. Sie war mehr als einmal von zu Hause ausgerissen, sie hatte ihre Mutter angeschrien, dass sie alt genug sei, sich um sich selbst zu kümmern. Sie hatte unbedingt wie eine Erwachsene behandelt werden
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